Ziel ist die Durchschaubarkeit

■ Debatte zur Verwaltungsreform: Harald Wolf (PDS) fordert die Dezentralisierung von Entscheidungen

25.000 Stellen werden in den nächsten fünf Jahren im öffentlichen Dienst gestrichen. Die Zahl der Senatsressorts wird um ein Drittel reduziert. Verwaltungsstrukturen sollen gestrafft, öffentliche Leistungen privatisiert werden. Ein ganzes Bündel von Maßnahmen wird zur Zeit im Senat diskutiert, mit dem Berlin seine zukünftige Rolle als Hauptstadt mit dem riesigen Defizit im Haushalt in Einklang bringen will. Führende Berliner Politiker legen in der taz ihre Vorstellungen von der künftigen Stadtstruktur dar. Heute: Harald Wolf, stellvertretender PDS-Fraktionsvorsitzender. Am 11. März äußerte sich der parlamentarische Geschäftsführer der CDU, Volker liepelt, am 17. März die AL-Abgeordnete Michaele Schreyer, am 27. März SPD-Fraktionschef Ditmar Staffelt.

Alle Berliner Parteien rufen mittlerweile nach einer Verwaltungsreform. Und alle scheinen sich in dem wohlklingenden Ziel einer »effizienten und bürgerfreundlichen Verwaltung« einig — so nahezu wortgleich Volker Liepelt (CDU), Ditmar Staffelt (SPD) und Michaele Schreyer (Bündnis 90/Grüne). Skepsis ist jedoch mehr als angebracht, wenn die Forderung nach einer Verwaltungsreform anläßlich des Vorhabens, 25.000 Stellen im Öffentlichen Dienst abzubauen, »wiederentdeckt« wird, nachdem sie seit 1984 mit Abschluß der Arbeit der Enquetekommission Verwaltungsreform auf Eis lag. Denn es ist nicht die Sorge um die Bürgerferne der Verwaltung, die CDU, SPD und FDP dazu treibt, das jahrelang ignorierte »Reformwerk« jetzt erneut aufzugreifen, sondern »der auf der öffentlichen Hand lastende Einsparungsdruck« — so Ditmar Staffelt.

Um Mißverständnissen vorzubeugen: Eine Verwaltungsreform ist überfällig. Mehrfachzuständigkeiten zwischen Senats- und Bezirksverwaltungen müssen durch Verlagerung von Entscheidungskompetenzen auf die Betriebe abgebaut werden. Dies reduziert nicht nur bürokratische Wasserköpfe in den Hauptverwaltungen, sondern ist zugleich ein Element von Demokratisierung durch Dezentralisierung.

Die durch den Abbau überflüssiger Bürokratie gewonnenen finanziellen und personellen Handlungsspielräume dürfen jedoch nicht wie beabsichtigt einfach im Sparstrumpf des Senats verschwinden, sondern müssen zum Abbau von Unterversorgungen im Bereich der sozialen und bürgernahen Dienstleistungen und zum Beispiel für die von der Gewerkschaft ÖTV geforderten Qualifizierungsmaßnahmen für die Beschäftigten in den Ostberliner Bezirksämtern genutzt werden, die sich mit einem neuen, für sie ungewohnten Rechtssystem und neuen Organisationsstrukturen herumschlagen müssen. Dies liegt nicht nur im Interesse eines am Bedarf der Bevölkerung orientierten Öffentlichen Dienstes, sondern ist auch beschäftigungspolitisch geboten.

Es gibt keinen Grund, den »Einsparungsdruck« auf den Öffentlichen Dienst unhinterfragt als unveränderlichen »Sachzwang« hinzunehmen. Die Deckungslücke im Berliner Haushalt ist kein Naturereignis, sondern Resultat politischer Entscheidungen: der Politik der Bonner Regierungskoalition mit der raschen Kürzung des Bundeszuschusses zum Berliner Haushalt und der systematischen Unterfinanzierung der neuen Bundesländer einschließlich Berlins. Sich dem daraus resultierenden »Sparzwang« einfach zu unterwerfen, würde bedeuten, die unsoziale Bonner und Berliner Steuer- und Finanzpolitik widerspruchslos hinzunehmen. Dies gilt um so mehr, als auch der Berliner Haushalt nicht bar jeder finanziellen Spielräume ist. Stichwortartig und exemplarisch seien hier nur genannt: die sich kontinuierlich steigernden Kosten der Olympiabewerbung, die Tatsache, daß Berlin gegenüber Hamburg einen »Ausstattungsvorsprung« von mehreren tausend Stellen in der Polizeiverwaltung hat, der seit langem vorliegende Vorschlag, durch eine Belastung des Pkw-Verkehrs das Milliardendefizit der Verkehrsbetriebe zu decken.

Aber die Sparpolitik ist nur ein Ziel, das mit der aktuellen Diskussion über die Verwaltungsreform verfolgt wird. Volker Liepelt bringt es in dankenswerter Offenheit auf den Punkt, wenn er eine »wirtschaftsfreundliche Verwaltung« als »wesentlichen Wettbewerbsfaktor« in der Konkurrenz »mit anderen europäischen und deutschen Metropolen um Investoren und Arbeitsplätze« fordert. Sein konkreter Vorschlag einer »Hauptstadtagentur« macht die Verwaltungsreform zum »Beschleunigungsgesetz« à la Krause und ordnet durch die Herauslösung der stadtentwicklungspolitisch entscheidenden Projekte aus der öffentlichen Verwaltung, wie Hauptstadt- und Olympiaplanung, diese unverhohlen privatwirtschaftlichen Interessen unter. In dieser kruden Form der »Hauptstadtagentur« ist Liepelts Vorschlag wohl kaum durchsetzungsfähig, hat sich doch Koalitionspartner Staffelt auch schon klar davon abgegrenzt.

Die Verwaltungsreform dürfe nicht der Verwaltung überlassen bleiben, fordert Ditmar Staffelt zu Recht. Trotzdem konzentriert er sich mit seinen Vorschlägen (Stabsstellen, gemeinsame Planungsgruppen), wie auch seine MitdiskutantInnen Liepelt (Hauptstadtagentur) und Schreyer (task forces, Innovationsstäbe) in seinem Beitrag auf reine verwaltungstechnische Vorschläge, die am Ziel der Effektivierung im Sinne der Beschleunigung von Verwaltungshandeln ausgerichtet ist. Nichts gegen Effektivität durch den Abbau überflüssiger bürokratischer Abläufe — im Gegenteil. Aber eine Verwaltungsreform, die diesen Namen verdient, muß darüber hinaus und vor allem am Ziel der Durchschaubarkeit, der Kontrollierbarkeit und Demokratisierung von Verwaltungshandeln orientiert sein. Die Verlagerung von Entscheidungskompetenzen in die Bezirke, die Sicherung ihrer Mitwirkungsrechte auch bei sogenannten »übergeordneten Planungen« müssen dabei wesentliche Elemente sein. Die Einführung beispielsweise eines bezirklichen Bürgerentscheids würde in der Verbindung mit der Dezentralisierung von Kompetenzen der unmittelbar von Planungen Betroffenen wichtige Vetorechte verleihen.

Der erste Schritt zur Demokratisierung wäre allerdings, die Debatte um die Verwaltungsreform aus den Hinterzimmern von Verwaltungsexperten und Arbeitsgruppen des Innensenators zu holen und sie mit Gewerkschaften, Betroffenengruppen und anderen Interessenverbänden öffentlich zu führen. Denn es geht nicht um die Umorganisierung dieses oder jenes Referats in der Senatsverwaltung XYZ, sondern darum, wie, wo und in wessen Interesse Entscheidungen getroffen werden. Harald Wolf