piwik no script img

■ DIE SÖHNE ITALIENS KOMMEN EINFACH NICHT VON MUTTI LOSMamma ist die allerbeste!

Terracina (taz) — Kulturpessimisten und anderen ewigen Italien- Nörglern hatte schon lange so etwas geschwant: in einem Land, in dem jeder Tenor, der auf sich hält, zumindest einmal im Leben den berühmtesten Schluchzer zu Ehren von „Mamma!“ auf Band oder Platte gebannt haben muß, wurde eine postmoderne Version der Eloge auf die geliebte Erzeugerin geradezu unumgänglich.

Das deutschen Ohren nur aus dem dreioktavigen Mund des vorpubertären Heintje nachklingende Lied von Cherubini und Bixio (deutsche Textprobe: „Mama, du sollst doch wegen mir nicht weinen“) gehört zwar seit fast einem Dreivierteljahrhundert zu den Gassenhauern italienischer Mutter- und Mammi-Geburtstage und wurde vom Operherrscher Bejamino Gigli über den Rom-Schnulzier Claudio Villa bis zurück zum derzeitigen Belcanto-Boß Luciano Pavarotti unendliche viele Male gesuselt bis geschmettert.

Doch nun hat es — möglicherweise — ausgedient. Beim vergangenen Festival von San Remo gewann ein Hit die alljährliche Großshow neuer Canzoni, der zunächst mal noch nicht nach Mammi klingt: „Porta mi a ballare“, Führ mich zum Tanzen aus, Sänger: Luca Barbarossa. Doch bald stellte sich heraus, daß der Sänger — auch schon weit in den Dreißigern — keineswegs von Freundin, Braut, Frau oder Hetäre zum Beinschwingen animiert werden möchte, sondern, eben, von Frau Mamma persönlich. Die Mutter des Liederautors reklamierte dies tags danach denn auch unmißverständlich in Funk, Fernsehen und jeder Art von Presse.

Die Tendenz zur Rückkehr der einst eher weltbürgerlichen italienischen Sangeskunst, die „Flieg Gedanke“ und „Azzurro“ hervorgebracht hatte, hin zu eher patriotischer und nachfolgend familienstirniger Einschränkung, hatte sich freilich schon seit Jahren angekündigt. Mitte der achtziger Jahre noch gewann „L'Italiano“ des Liedermachers Toto Cotugno die Hitparaden, fünf Jahre danach war es, vom selben Autor, das Hohelied des Nachwuches, „Figli“, Söhne, das zum Ohrwurm geriet. Nun ist Italien also bei der modernen, diskothekenfesten und schlenkergewandten Frau Mamma gelandet, die nicht mehr nur das Bübchen im Arm wiegt, sondern auch schon mal eine kesse Sohle hinzulegen imstande ist.

Daß Italiens Söhne nicht leicht von der Mammi loskommen, ist allerdings nicht gerade neu; im Zweifelsfall gilt der mütterliche Busen noch immer als beste Medizin gegen alles, was weh tut, in Leib und Seele. Trennen sich Ehepaare, kehrt der Sohn in aller Regel zur Mutter zurück und lebt dort, bis sich ein neues Gespons findet, und wenn sich Italiens Vaterlandsverteidiger in der Kaserne krankmelden, sagt der Arzt nicht „Ab ins Spital“, sondern „Fahr heim und laß Dich kurieren.“ Als vor einigen Jahren eine merkwürdige Selbstmordwelle frisch eingerückte Rekruten fast wie Fliegen dahinschwinden ließ, erließ der Verteidigungsminister höchstselbst einen Ukas, wonach alle Mammis in den ersten sechs Wochen Militärdienst unbeschränkte Besuchserlaubnis bei den Filgi haben. Von diesem Tag an war Schluß mit der Suizidwoge.

Mitunter thematisieren Italiener die Bindung selbst — und dann können sie, allerdings nicht zu laut, auch mal darüber lachen. Voriges Jahr erschien ein Buch „Come difendersi dalle mamme“, wie man sich vor den Müttern schützt — es geriet sehr kurz — Muttertag nahte — auf die Bestsellerliste und verschwand dann dezent wieder in der Versenkung.

Längerlebig scheint da schon ein Witz, mit dem Italiener sich in ihrer bewährten respektlosen Weise selbst ironisieren; er entstand nach Ohrenzeugenberichten, während Pier Paolo Pasolini Anfang der sechziger Jahre in Matera das „Evangelium nach Matthäus“ (mit seiner Mutter als Maria) drehte: „Weches sind die drei Beweise, daß Jesus Italiener war? Erstens, er lebte mit dreiundreißig Jahren noch im Haus der Mammi. Zweitens, er hielt sie für eine Jungfrau — und, drittens, sie hielt ihn für Gott.“ Werner Raith

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen