Reisen nach Rußland

Obwohl alle in der Reisebranche von den neuen Märkten im Osten reden, reisen immer weniger Leute dorthin. Nach aktuellen Berichten der größten deutschen Reiseunternehmen, die sich auf Osteuropa spezialisiert haben, ist die Zahl der TouristInnen in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Kenner der Branche schätzen, daß die Gesamtzahl der ausländischen Gäste von einer Million auf die Hälfte geschrumpft ist und allein aus der Bundesrepublik jetzt weniger als 50.000 BesucherInnen pro Jahr kommen. Der Rückgang setzte fast gleichzeitig mit den folgenreichen Umwälzungen der Gorbatschowschen Reformen und der krisenhaften Entwicklung des Landes ein. Wankende politische Verhältnisse, Unruhen in den südlichen Republiken und im Baltikum, die akute Versorgungskrise der Bevölkerung haben viele Reisende verunsichert, obwohl es bis auf den Kaukasus zu keinen nennenswerten Beeinträchtigungen für den Tourismus gekommen ist.

Dem Wirtschaftszweig Tourismus wurde staatliche stets kräftig gefördert, da er eine bedeutende Einnahmequelle darstellt. Die Reiselust hatte aber einen festgeschriebenen Rahmen, der kaum Abweichungen von den festgelegten Touristenpfaden vorsah. Sehenswürdigkeiten — Museen am Tage, die Abende im Staatszirkus oder -ballett — und danach in Bussen zu abgeschirmten Hotels — das war Standardprogramm.

Um die Jahreswende 1989/90 erlaubten die russischen Behörden erstmals westlichen BesucherInnen, auch das private Rußland zu entdecken. WestlerInnen können nun auch bei Einheimischen wohnen, egal ob das von einem Reisebüro oder privat arrangiert wird. Einziges Hindernis ist nur noch das Visum, daß man erst nach Vorlage einer formellen Privateinladung oder über ein Reisebüro bekommt. Außerdem wird diese Einreiseerlaubnis nur für die in der Einladung genannten bzw. zur Reiseroute gehörenden Orte ausgestellt. Freies Reisen ist immer noch unbegrenzt möglich.

Doch für Rußland interessierte Menschen ist es nun eher möglich das Land intensiv kennenzulernen. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in einigen Bereichen des organisierten Reisens wider: Obwohl die Zahl der Touristen insgesamt abnimmt, gibt es mehr Studien-, Abenteuer- und Sprachreisende. Auch diese Klientel reagiert sehr empfindlich auf jedes Ereignis in Rußland. Beinahe hätte der Putschversuch vom August 1991 diesen florierenden Zweige zum Erliegen gebracht. Der jüngste Störfall im Kraftwerk bei St. Petersburg hat viele Interessenten abgeschreckt. Bernhard Druba

Der Autor ist Sprachreiseveranstalter bei Perelingua.