SHORT STORIES FROM AMERICA VONMARCIAPALLY

Im vergangenen Monat, mitten im Präsidentschaftswahlkampf, hörten die BürgerInnen der Vereinigten Staaten von ihren Abgeordneten Bekenntnisse wie „Ich bin ein Junkie, aber kein Gauner“, „Ich war das Opfer“ und „Alles, was wir tun können, ist den Leuten so offen wie möglich alles zu erzählen“. Diese Beispiele von Geschick und Selbstbeherrschung kamen von Mitgliedern des Repräsentantenhauses, die fürchteten, daß unter einer neuen Kongreßleitung die Praxis der ungedeckten Schecks auffliegen könnte. In einem verzweifelten Versuch der Imageaufpolierung für die Wahl beschloß das Repräsentantenhaus, die Namen der Abgeordneten bekanntzugeben, die in den letzten drei Jahren ungedeckte Schecks ausgestellt hatten (für die Mitglieder des Repräsentantenhauses existiert eine Sonderbank, bei der Schecks eingelöst werden können, selbst wenn das Konto längst überzogen ist, und zwar ohne Strafgebühr — die Tage des geplatzten Schecks sind vorbei). Ohne Zweifel hoffen die Politiker, durch die öffentlichen Bekenntnisse dieselbe anhaltende Besserung zu erzielen, die seinerzeit durch die kirchlichen Ablaßverkäufe erreicht wurde. Der Kongreß plant jetzt, die Sonderbank zu schließen und verlangt, daß jeder Abgeordnete für einen ausgeglichenen Stand seines Kontos sorgt — wie es der Rest der Amerikaner auch tut.

Bis heute lag der größte Erfolg des „Scheck- Checks“ im Unterhaltungswert für die amerikanische Öffentlichkeit, die der normalen Wahlberichterstattung langsam müde wurde. So hat zum Beispiel die Presse in den vergangenen Wochen eine erstaunliche Zahl von Möglichkeiten gefunden, Artikel über Hillary Clinton zu schreiben, die Frau des Demokraten-Kandidaten Bill Clinton. Schlagzeile: „Heirat zwischen zwei Karrieren — Vorteil oder Hindernis?“ Werden die, die im Fernsehen den Wahlverlauf verfolgen, dessen müde, können sie umschalten zur Kongreß- Beichtstunde. Die „Ich bin ein Junkie“-Abgeordnete setzt ihr mea culpa fort: „Ich habe nie einen Scheck zurückbekommen, weil er nicht gedeckt war. Also wußte ich nicht, daß es überhaupt ein Problem damit gab“ — eine Behauptung, die aus der Lucille Ball-TV-Show stammen könnte. Ich sehe Lucille vor mir, wie sie Dezi Arnez beschwört: „Oh Ricky-Süßer, ich habe niemals einen Scheck zurückbekommen! Da konnte ich doch nicht ahnen...“

Die Presse hat ebenfalls eine bemerkenswerte Anzahl von Möglichkeiten gefunden, über Clintons Interessenkonflikt zu schreiben: War es für Hillary unproblematisch, in einer Rechtsanwaltskanzlei zu arbeiten, die mit dem Staat Arkansas zu tun hat — dem Staat, dessen Gouverneur der eigene Ehemann ist? Auch wenn sie sich von allen staatlichen Angelegenheiten fernhielt? Ich sage, eine „bemerkenswerte Anzahl von Möglichkeiten“, wenn ich diese Reaktion der Presse mit der auf die Bush-Affären vergleiche: Neil, Georges Sohn, genehmigte seinen Geschäftspartnern Anleihen im Wert von 100 Millionen Dollar, als er Direktor der Silverado Bank war. Und es kam ihm nie in den Sinn, daß es da einen Interessenkonflikt geben könnte. „Jeb“ Bush, Vorsitzender der Republikaner in Florida, nahm Spenden für Georges Kampagne von einem Drogenschmuggler und Knastbruder an, und er hielt es für ausgeschlossen, daß so etwas die Politik des Präsidenten beeinflussen könnte. Prescott Bushjr. wurden mehr als 250.000 Dollar dafür gezahlt, daß er Investitionen eines Immobilienkonzerns aus Tokio in den Vereinigten Staaten managte, was in Japan selbst nicht gern gesehen wurde — und er kam nie auf den Gedanken, daß das einen Schatten auf die Präsidentschaft werfen könnte. George Bushjr. verkaufte als Chef von Harken Energy Aktien seines Unternehmens im Wert von 848.560 Dollar — unerklärlicherweise genau eine Woche, bevor eine Bilanz über die mageren Gewinne veröffentlicht wurde und die Wertpapiere fielen. Es kam ihm nicht in den Sinn, daß das so aussehen könnte, als habe er illegal Insiderinformationen genutzt, was den Ruf des Präsidenten schädigen könnte.

Es gab Artikel über Neil; viel weniger über die anderen. Sicherlich nicht genug für die amerikanische Öffentlichkeit, um Klarheit über diese Angelegenheiten zu schaffen, insgesamt weit weniger überdosiert als die Presse über Hillary — und sicherlich nicht genug, um die Aufmerksamkeit gelangweilter BoulevardzeitungsleserInnen auf die Kongreß-Beichtseite zu ziehen.

Mein schönstes Repräsentantenhaus-Bekenntnis kam von dem Abgeordneten Ray McGrath aus Valley Stream, Long Island. Dessen Konto wurde um 485 Dollar überzogen, als sein Sohn Timothy sich in den Mensa-Plan eintrug und für das Essen bezahlte, ohne Daddy davon zu erzählen. McGrath übertraf mit seiner Reaktion darauf sogar noch die Ablaß-Sitten der Kirche: Er brachte in Erfahrung, was eine normale Bank für das „Vergehen“ an Strafgebühr verlangt hätte und zahlte den entsprechenden Betrag an die Sonderbank.

Das ist der Zeitgeist. Zusätzlich zu seinem Unterhaltungswert könnte der „Scheck-Check“ das Mittel sein, die zerrütteten finanziellen Verhältnisse der USA zu sanieren. Man bedenke, was McGrath-ähnliche Ehrlichkeit dem Staatsetat zugeführt hätte, wenn die Reagans dem zugänglich gewesen wären. Sie hätten es nicht nötig gehabt, während der 80er Jahre 46Prozent ihres Einkommens dem Finanzamt zu verschweigen. Hätte Ronnie nur einen Hauch von McGrath-ähnlicher Redlichkeit besessen, hätte er nicht das Steuergesetz ändern müssen, so daß die höchste Steuerrate (von den Reichsten Amerikas bezahlt) auf 31Prozent fiel. 1989 zahlten die reichsten amerikanischen Familien weniger als 27Prozent Einkommenssteuer. Wenn man bedenkt, daß diese Familien (die ein Prozent der Bevölkerung ausmachen) in den 80er Jahren einen Einkommenszuwachs von 77Prozent verzeichnen konnten, hätte eine McGrath-ähnliche Bereitschaft, in den gemeinsamen Topf zu zahlen, einen wirtschaftlichen Unterschied gemacht.

Man kann sich vorstellen, was für ein Segen es für das Bruttosozialprodukt gewesen wäre, hätten die Steuerrückzahlungen der Großunternehmen Anlaß für Bilanzprüfungen gegeben, wie es jetzt mit McGrath's Scheckbuch passierte. Die Chance, daß das Finanzamt eine Wiedereinführung der Körperschaftssteuer prüft, ist heute 1:39 (1980 stand sie noch 1:15). Man denke an die Mittel, die der amerikanischen Öffentlichkeit zur Verfügung gestanden hätten, wenn nur ein Projekt des Pentagon — finanziell gesehen — so verantwortlich gehandhabt worden wäre, wie die Abgeordneten jetzt Sorge für ihre Scheckbücher tragen.

Aldric Saucier, Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums von 1984 bis 1992, veröffentlichte einige Zahlen über das berühmte Star- Wars-Projekt des Pentagon ('New York Times‘, 9.März 1992): Neun Jahre und 25 Billionen Dollar hat es bisher gekostet. Saucier schrieb, Star Wars sei gekennzeichnet durch „systematische Illegalität, grobe Fehlplanungen, Verschwendung und Machtmißbrauch“. Man habe immer die teureren Möglichkeiten gewählt, wenn es auch preiswerte gab. Verschiedene Beratungsgesellschaften wurden mit Prüfverfahren beauftragt: Ihre Berichte wurden versteckt oder vernichtet, andere Agenturen beauftragt. Inzwischen existieren über 200 Studien, die zeigen, daß das Star-Wars-Verteidigungssystem zu einem Preis von 1,37 Trillionen Dollar bis zu 10Prozent der feindlichen Missiles durchläßt. Weniger kostspielige Anti-Missiles-Programme (zu 737 Billionen Dollar) würden bis zu 35Prozent durchlassen.

Der Pentagon plant, in den nächsten fünf Jahren 1,2 Trillionen Dollar für die Verteidigung auszugeben, obwohl der Kalte Krieg aus und weit und breit kein Feind in Sicht ist, gegen den man Krieg führen müßte. Man denke an die Mittel, die für andere Zwecke frei würden, wenn man vom Pentagon verlangte, daß er dieselbe Lektion lernt wie der junge Timothy, als er für sein Essen mit Geld bezahlte, das sein Vater nicht auf seinem Konto hatte.

(Aus dem Amerikanischen von Sabine Lange.)

DASNEUEGESELLSCHAFTSSPIELAMERIKAS:DERSCHECK-CHECK