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DEBATTEDie Menschenrechtslüge

■ Anmerkungen zum deutsch-türkischen Verhältnis

Stoppt den Völkermord in Kurdistan“ lauteten Transparente auf einer Demonstration in Bonn. Der Lehrer Uwe Helmke vom Landesvorstand der Bremer Grünen, der Augenzeuge des Blutbades im kurdischen Cizre war, spricht davon, daß die Türkei das „ganze kurdische Volk“ bekämpfe und „schleichenden Völkermord“ begehe. Von „Genozid“ ist in Kommentaren die Rede. Schlichte Nachrichtenfälschungen werden nicht gescheut, um der Türkei eins auszuwischen. „Ankaras Premier Demirel nennt Kurden 'Ungeziefer‘“, heißt es in einer Schlagzeile der 'Hannoverschen Allgemeinen‘.

Sorgfältiger Umgang mit Begriffen scheint offenbar wenig gefragt. Wenn Israel Menschenrechte verletzt, argwöhnen einige Deutsche besonders schnell schleichenden „Genozid“ und „Völkermord“. Die „Endlösung der Palästinenserfrage“ lautete einmal die Schlagzeile einer linken, deutschen Zeitung. Doch Massaker sind eben etwas anderes als Völkermord und Genozid. Gerade Deutsche und Türken sollten das wissen. Die Deutschen wegen der Vernichtung der europäischen Juden, die Türken wegen des Völkermords an den Armeniern.

Die erbitterte Gegnerschaft zur türkischen Repressionspolitik in Türkisch-Kurdistan sollte kein Hinderungsgrund sein, die Wahrheit differenziert zur Kenntnis zu nehmen. Nicht erst mit Newroz gab es Tote in Türkisch-Kurdistan. Mehrere tausend Menschen sind in den vergangenen Jahren getötet worden: Kurdische Zivilisten, Guerilleros und türkische Soldaten. Die Guerilla genießt unter den Kurden in Türkisch- Kurdistan Unterstützung. Der bewaffnete Kampf der PKK spielte für viele eine identitätsstiftende Rolle.

Die Guerilla verübt Anschläge auf türkische Militäreinrichtungen und führt Terroraktionen in westlichen Großstädten der Türkei durch. Das türkische Militär versucht mit aller Brutalität — Terror gegenüber kurdischen Zivilisten, Vertreibung kurdischer Bauern und Einschüchterung gehörten dazu —, der PKK den Garaus zu machen. Doch Terror und Massaker sind etwas anderes als ein Völkermord. Und die Türkei ist trotz der politisch potenten Militärs auch eine Demokratie. Kurdische Abgeordnete, die der PKK nahestehen, sitzen im türkischen Parlament. In Istanbul erscheinen Zeitschriften, die offen Partei für die PKK ergreifen. (Natürlich interveniert der widerliche Apparat der politischen Justiz, wie in bürgerlichen Staaten üblich. „Unterstützung einer terroristischen Vereinigung“ ist schließlich auch in Deutschland ein Delikt.) Doch viele Kurden — die Mehrheit der Kurden in der Türkei lebt außerhalb Kurdistans und ist stark assimiliert — haben kein freundschaftliches Verhältnis zur PKK.

Die schrecklichen Fernsehbilder aus Türkisch-Kurdistan haben sicherlich mit zum Rücktritt Stoltenbergs beigetragen und endlich dazu geführt, daß vorerst die deutschen Waffenlieferungen an die Türkei eingestellt werden. Es war ein längst überfälliger Schritt. Wenn in einem Manifest von türkischen Organisationen in Deutschland davon die Rede ist, daß „eine Bestrafung der Türkei mittels eines Rüstungslieferungsstopps und einer EG-Verurteilung ein unverzeihlicher Schlag ins Gesicht der umfassenden Reformbemühungen der konservativ-sozialdemokratischen Regierungskoalition in Ankara“ wäre, so ist das blanker Unsinn. Ja, die Regierung Demirel ist angetreten mit Reform- und Demokratisierungsversprechen. Doch sie trägt eindeutig Verantwortung für das Blutbad unter kurdischen Zivilisten. Und Sanktionen sind eben ein wirkungsvolles Mittel, um zu verhindern, daß die türkischen Nationalisten — mögen sie noch so sehr demokratisch legitimiert sein — ungehemmt ihre verwegene Kurdistan- Politik fortführen können.

Es geht nicht um Moral, sondern um handfeste Machtinteressen

Doch es wäre naiv zu glauben, die Wende in der deutschen Politik basiere auf ethischen und moralischen Grundlagen. Die Heuchler, die jahrelang der Türkei die Waffen zuschoben, sind heute Verteidiger von Menschenrechten. Waffen werden nicht produziert, um in Museen ausgestellt zu werden. Die Türken hatten gute Gründe anzunehmen, daß es mit Deutschland wegen Menschenrechtsverletzungen oder wegen illegalem Einsatz deutscher Waffen nicht zu ernsthaften Konflikten kommen würde. Schließlich hatten die Deutschen keine Bedenken, nach dem Putsch von 1980 mit dem Militärregime zusammenzuarbeiten. Mit deutschen Waffen wurde Regimegegnern der Garaus gemacht. Hunderttausende machten damals ihre Erfahrungen in den Folterkammern des Regimes. Den Sondereinsatztruppen werden in Türkisch-Kurdistan zahlreiche Morde an kurdischen Zivilisten zur Last gelegt. Türkischen Presseberichten zufolge wurden Teile dieser berüchtigen Einheit bei der GSG in Deutschland ausgebildet. Schon seit Jahren schoß türkisches Militär auf kurdische Demonstranten, die mit der PKK sympathisierten. Im Vorfeld des Golfkrieges— die Türkei war treuer Gefolgsstaat der Alliierten — starben kurdische Antikriegsdemonstranten im Kugelhagel des Militärs. Warum gerade jetzt der Schwenk in der deutschen Türkei-Politik? Noch nie haben Menschenrechte Politik bestimmt. Es geht um handfeste Machtinteressen.

„Wie ein Felsen stehen die USA auf unserer Seite“, schlagzeilte eine türkische Zeitung während des Zwistes mit Deutschland. Tatsächlich hält sich die US-Administration mit Kritik an der Türkei zurück. In den Tagen des deutsch-türkischen Konfliktes schlossen die Amerikaner einen Lizenzvertrag für den Bau von 40 F-16 Kampfflugzeugen in der Türkei ab. Auch nach dem Ende der türkischen Rolle als Bollwerk gegen die „kommunistische Gefahr“ sehen die USA, daß die Türkei als braver Geselle in Bushs „Neuer Weltordnung“ ihren Platz hat. Sie ist nicht nur als Militärstützpunkt wichtig, von dem aus Bagdad bombardiert werden kann, sondern auch eine Regionalmacht, die als Sprungbrett gegen die moslemischen Turkrepubliken in der ehemaligen Sowjetunion genutzt werden kann. Ein Staat mit moslemischer Bevölkerung, der laizistisch ist und im Sinne des Westens ein Gegengewicht zu dem islamischen Fundamentalistenregime in Teheran bildet.

Die Deutschen schätzen an der Türkei vieles, was auch die USA an ihr schätzen. Doch sie sind näher am Schuß und kriegen Bauchschmerzen, wenn von Türken die Rede ist. Es ist verlogen, wenn deutsche Kommentatoren behaupten, daß es die Bundesrepublik war, die „in besonderer Weise, den türkischen Wunsch nach einer Annäherung an Europa unterstützte“ ('Frankfurter Rundschau‘). Gerade die Deutschen waren es, die sich erfolgreich dafür einsetzten, eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EG zu verhindern. Freizügigkeit ist ein Gespenst für deutsche Politiker. Selbst wenn Türken und Kurden, die schon Jahre in Deutschland leben und arbeiten, ihre Familie nachholen wollen, hat sich der deutsche Staat eine Reihe unmenschlicher Schikanen ausgedacht. Und noch immer werden politisch aktive kurdische Asylbewerber in die Türkei abgeschoben.

Nach der Vereinigung ist die Tendenz zu Interventionismus in der deutschen Außenpolitik unübersehbar. Die deutsche Schnelligkeit bei der Anerkennung Kroatiens war ein Indiz. Die Ideologen formieren neue Grenzen, ein neues Europa unter Führung Deutschlands. Von dem „uneuropäischen Volk der Serben“ war damals in der 'FAZ‘ die Rede. Wenn die Serben schon nicht zu Europa gehören, dann wohl die Türken erst recht nicht.

In den letzten Tagen waren viele Deutsche über die deutschen Waffenlieferung und die türkische Politik in Kurdistan entsetzt. Doch dem Biedermeier, der sich nicht traut, mit den Skinheads „Türken raus“ zu schreien, kommen die dummen Sprüche von „Genozid“ und „Völkermord“ gelegen. Sie bestätigen seinen Rassismus und lassen ihn die Erblast des deutschen Faschismus vergessen. Die blutigen Szenen in Kurdistan sind für ihn der beste Beweis, daß christliche Zivilisation mit orientalischer Barbarei nicht vereinbar sind. Doch die angeblich bemitleideten Kurden werden nur instrumentalisiert. Auch sie werden, wenn es darauf ankommt, nicht dem bösen Spruch entgehen: „Schaut auf das Barbarenvolk.“ Ömer Erzeren

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