Chinas Weg in eine liberale Diktatur

Pekings Nationaler Volkskongreß beschließt Mammut-Staudammprojekt am Yangtse-Fluß/ Ungewöhnliche Anzeichen von Opposition/ Li Pengs Regierungserklärung stark abgeändert  ■ Aus Peking Catherine Sampson

Chinas alljährliche Sitzung des Nationalen Volkskongresses endete gestern mit ungewöhnlichen Anzeichen von Opposition gegenüber dem sogenannten Drei-Schluchten-Projekt. Geht es nach den Planern des Mammut-Staudammprojekts, soll am Yangtse-Fluß das größte Wasserkraftwerk der Welt entstehen. Zwar wurde das Projekt im Volkskongreß mit der Mehrheit der Stimmen abgesegnet, aber fast ein Drittel der Deputierten votierten mit „Nein“ oder enthielten sich. Das Abstimmungsergebnis bedeutete das deutlichste Zeichen von Opposition gegen eine Parlamentsvorlage seit der Niederschlagung der chinesischen Demokratiebewegung im Jahr 1989. Der Delegierte Huang Shunxing, der sich in den siebziger Jahren aus Taiwan nach China absetzte, stand während der Abstimmung auf und protestierte lautstark gegen das Projekt. Als die Parteiführer seinen Auftritt ignorierten, verließen er und ein anderer Delegierter, umringt von ausländischen Journalisten, die Versammlung. Der Damm soll mindestens 57 Milliarden Yuan kosten. Die gestauten Fluten würden die Wohngebiete von mehr als einer Million Chinesen überfluten. Kritiker verweisen auch auf technische Schwierigkeiten beim Stau des stark verschlammten Yangtse. Umweltschützer befürchten die Ausrottung solch seltener Spezien wie der Yangtse-Fluß-Delphine. Sogar die Militärs haben Einwände gegen das Projekt. Sie beklagen, der monströse Staudamm wäre im Falle eines Krieges ein ideales Angriffsziel. Die Befürworter des Projekts, zu denen auch Premierminister Li Peng gehört, predigen dagegen, die Energie der Yangtse-Fluten könne bis zu einem Siebtel des chinesischen Elektrizitätsbedarfs decken. Des weiteren verhindere der Damm Überflutungen der Region am Unterlauf des Flusses.

In seiner Abschlußsitzung hatte der Nationale Volkskongress über ein weiteres kontroverses Thema abzustimmen, die Regierungserklärung von Premierminister Li Peng. Mit seiner ursprünglich vorgelegten Fassung war Li Peng in Ungnade gefallen, da er nicht auf Forderungen des chinesischen Elderstatesman Deng Xiaoping nach radikalen Reformen einging. Zudem enthielt der Entwurf keinerlei Unterstützung für Dengs Angriffe gegen linke Hardliner innerhalb der Partei. Im Verlauf der Debatten war Li Peng wegen dieser Unterlassungen wiederholt scharf angegriffen worden. Schließlich wurden ihm die entsprechenden Passagen in die Erklärung hineindiktiert. Insgesamt 150 Änderungen mußte sich der Ministerpräsident gefallen lassen, dessen veränderte Erklärung schließlich mit nur 37 Gegenstimmen oder Enthaltungen der insgesamt 2633 Delegierten angenommen wurde.

Deng Xiaoping hatte sich nach 1989 in einen Semi-Ruhestand zurückgezogen, um das Feld jüngeren Politikern wie Parteichef Jiang Zemin und Premierminister Li Peng zu überlassen. Aber Anfang dieses Jahres hatte er sich auf der politischen Bühne zurückgemeldet und Zemin und Peng mit Ratschlägen, wie das Land zu regieren sei, deklassiert. Während der Sitzung des Volkskongresses lieferten Zitate Dengs und nicht Zemins oder Pengs die Schlagzeilen der Zeitungen und Fernsehberichte. Die Differenzen zwischen Deng Xiaoping und Li Peng sind weder rein persönlicher Natur, noch beschränken sie sich auf Fragen der Wachstumsraten. In dem Streit geht es um zwei unterschiedliche Perspektiven für die Zukunft Chinas. Die mit Unterstützung aus Peking in Hongkong publizierte Zeitung „Da Gong Bao“ lieferte vergangene Woche eine Erklärung für Dengs Comeback zum Kampf gegen „linke“ Tendenzen in China: „Nach den Ereignissen am 4. Juni 1989 wurde die linke Debatte wieder aufgenommen und nach den Veränderungen in der Sowjetunion und Osteuropa intensiviert. Einige Leute bezeichneten die friedliche Weiterentwicklung der Wirtschaft, Reformen und Öffnung als große Gefahr, die der Einführung des Kapitalismus gleichkäme. Die Hauptaufgabe der Partei sei es, so diese Leute, sich dieser friedlichen Weiterentwicklung zu widersetzen.“ In klare Worte übersetzt, war damit gemeint, daß Chinas Hardliner versuchten, wirtschaftliche Reformen zu verhindern. Verstärkte Kontakte mit dem Ausland betrachteten sie als zerstörerisch für den chinesischen Kommunismus. Für sie bedeutete die Stärkung von Ideologie und purem Sozialismus die einzige Garantie für den Machterhalt. Deng erwiderte diese Kritik mit Worten, die weder marxistisch noch maoistisch klangen. Der chinesische Weg solle sich nicht darum sorgen, ob etwas kapitalistisch sei oder nicht, solange es nur dem chinesischen Aufschwung diene. Die Küstenregion Guangdong solle es Singapur gleichtun, wo die Wirtschaft gedeihe und die Gesellschaft dennoch scharf kontrolliert werde. Obwohl Deng immer wieder vom „Sozialismus mit chinesischem Charakter“ spricht, scheint Sozialismus in seinen Erwägungen kaum eine Rolle zu spielen. Vielmehr beinhaltet sein Rezept zum Machterhalt den Abschied von der Ideologie. China könnte demnach zu einer wirtschaftlich liberalen Diktatur werden, vergleichbar mit den „vier kleinen Drachen“ Hongkong, Taiwan, Südkorea und Singapur.