: Saubere Umwelt als Wachstumsmarkt
Auf der Hannover Messe zeigt die Industrie neue Geräte und Entwicklungen zum Reinemachen in der Natur ■ Aus Hannover Donata Riedel
Auf der Freifläche des Messegeländes steht ein orangefarbenes Ungetüm. „Eco-Technologies“, Öko- Technologien, nennt sich die Firma, die das Monstrum ausstellt — es ist eine Straßenkehrmaschine. Die Beseitigung von Schmutz ist in diesem Jahr Schwerpunkt der Hannover Industriemesse, die noch bis zum 8.April dauert. „Industrielle Lufttechnik noch umweltfreundlicher und reiner“, verspricht ein anderes Unternehmen, das zum Luftabzug riesige knatschgelbe Düsen installiert hat, die ein saugendes Geräusch erzeugen. Der Papierstapel direkt darunter aber bewegt sich nicht. „Die Raumlufttechnik schafft für den Menschen im Arbeitsbereich angenehme thermische Bedingungen und hält die Umgebung frei von Schadstoffen“, erläutert die Messegesellschaft die Ziele der 590 Aussteller, die Lüftungs- und Klimaanlagen, Entstaubungstechnik sowie Reinraumtechnik an die industriellen Kunden bringen wollen.
Großes Reinemachen steht auf dem Frühjahrsprogramm von Energieversorgungsunternehmen, Kläranlagenbauer, Filtersystemanbieter und forschender Mikroelektronik- Ingenieure. Öl und Wasser werden, blutrot eingefärbt, voneinander getrennt; eine grünlich-zähflüssige geruchsfreie Handwaschpaste demonstriert das Eindicken von Klärschlämmen. Gesäubertes Wasser, gereinigte Böden, recycelte Reststoffe — die modernen Industrieunternehmen erschließen sich einen neuen lukrativen Markt. Je dreckiger das althergebrachte Image desto heller der Messestand: Nirgends blühen so viele Blumen wie auf der Ausstellungsfläche der Ruhrkohle AG.
Wegen der angespannten Entsorgungslage, erfährt die Besucherin, ist „die Aufbereitung industrieller Reststoffe ein Wachstumsmarkt par excellence“. Deponieraum wird knapp und dadurch teuer; Recycling wird sich also bald schon rechnen. Der industrielle Umweltputz-Sektor hofft auf weitere Eingriffe und Auflagen des Staates. Denn Zwang beflügelt die Phantasie — auf jeden Fall die der Kohlekraftwerkskonstrukteure. Seit nicht nur Schwefeldioxid, Stickoxide, Ruß und Staub als Luftverschmutzung gelten, sondern selbst Kohlendioxid als Klimakiller enttarnt ist, versuchen sie den Wirkungsgrad der Primärenergie Kohle, Öl oder Gas bei der Stromerzeugung effizienter auszunutzen. Denn der Kohlendioxid-Ausstoß läßt sich nur durch weniger Verbrennung vermindern. Verrauchten zu Anfang des Jahrhunderts noch 95Prozent der verfeuerten Steinkohle durch den Schornstein, liegt heute die Energieausbeute bei 43Prozent. Mit neuartigen Gas-und-Dampf-Kraftwerken, versprechen die Ingenieure, könne bis Mitte der 90er Jahre ein Wirkungsgrad von 53 bis 55Prozent erreicht werden. Ein 600-Megawatt- Steinkohlekraftwerk, das 4.000 Stunden im Jahr Strom produziert, würde schon bei einem um fünf Prozent verbesserten Wirkungsgrad 250.000 Tonnen weniger Kohlendioxid ausstoßen, rechnet Hans Böhm, Chef der „Fossilen Energieerzeugung“ bei der Siemens-Kraftwerksunion vor. Nur ganz vermeiden läßt sich der Energieverlust bei der Umwandlung von Kohle, Erdgas und Öl in Strom nicht.
High-Tech hilft der Umwelt, erklären die Mikroelektroniker in der Forschungsmessehalle. Und — eine Hand wäscht die andere — den Mikroelektronikern hilft der Umweltschutz zu neuen Anwendungsgebieten. Der Verband deutscher Elektrotechniker (VDE) und der Verband deutscher Ingenieure (VDI) haben eine gemeinsame Gesellschaft Mikroelektronik (GME) gegründet. Das Ziel: Die „Mikroelektronik in allen ihren Bereichen“ zu fördern, schreibt GME-Präsident Ernst Hofmeister im Vorwort zur Studie Beitrag der Mikroelektronik zum Umweltschutz. Die Verfasser kommen zu dem Ergebnis, daß mehr Sensoren gebraucht werden. In vielen Industriezweigen gebe es keine Meßgeräte, die die Schadstoffkonzentration beständig messen und analysieren könnten. Gäbe es diese Fühler, könnte der Produktionsprozeß gleichmäßiger gesteuert werden, wodurch weniger Gifte an die Umwelt gelangen würden. Verbrennungsprozesse zum Beispiel laufen nie ganz gleichmäßig ab; wenn plötzlich die Schwefeldioxid- oder die Stickoxid-Konzentration ansteigt, kann man häufig sofort über die elektronisch gesteuerte Lüftungsklappe regelnd eingreifen. Eine mikroelektronisch verbesserte Regelungstechnik der Heizungsanlagen für Wohnhäuser würde den Ausstoß von Kohlendioxid um zehn bis 20Prozent senken.
Weniger Luft im Brenner verringert die Stickoxidemissionen — in Glasschmelzwannen gleich um 70Prozent. Und wenn es gelänge, die Waschmitteldosierung mikroelektronisch zu steuern, dann könnten 50Prozent Waschpulver und zehn Prozent Strom eingespart werden. Die Wäsche wäre optimal gereinigt, die Umwelt etwas sauberer.
Freilich verschweigen die Fraunhofer Institutsforscher nicht die noch vorhandenen Schwierigkeiten beim Bau jener sensiblen Waschmaschine: Wieviel Waschmittel gebraucht wird, hängt davon ab, wie schmutzig die Wäsche ist; und der High-Tech-Sensor, der Auge und Nase zuverlässig ersetzt, harrt noch seiner Entwicklung. Forschung und Entwicklung auf diesen Gebieten gehören nach Meinung der Ingenieure aber auf jeden Fall gefördert. Auch sie plädieren für staatlichen Zwang, um einen breiten Markt zu schaffen — zum Beispiel zum Einbau von exakten Regeltechniken für die Heizungen der 20 Millionen bundesdeutschen Haushalte. Nur dann nämlich kann die Industrie große Stückzahlen der Sensoren absetzen, was die Meßfühler wiederum verbilligen würde.
Gute Geschäfte lassen auch die 130.000 industriellen Altlastverdachtsflächen in Deutschland erwarten. Die Lurgi Umwelt Beteiligungsgesellschaft (LUB) rechnet damit, daß jedes zehnte Areal schnell saniert werden muß. Die Dienstleistungsabteilung der Lurgi, eine Tochter der Metallgesellschaft AG, bietet Lösungen in Form von wirtschaftlichkeitsorientierten Sanierungs- und Recyclingprogrammen an. Die LUB „wäscht“ oder „reinigt thermisch“ kontaminierte Böden, „Lurgi-Wissen schafft sauberes Wasser“ oder „saugt die Bodenluft ab.“ Glauben Sie: Die saubere Umwelt ist machbar. Heute sind die Ökotechniken wegen der kleinen Stückzahlen noch ein wenig teuer für das Massengeschäft. Aber das war vor dem Zweiten Weltkrieg mit dem Auto auch nicht anders.
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