Risse im AKW bergen große Gefahren

Gerissene Schweißnähte im AKW Würgassen/ Ökoinstitut: „Zusammenbruch der Sicherheitsphilosophie von 10 Jahren“  ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Die Nachricht aus dem Bonner Umweltministerium liest sich unspektakulär: Unter der Überschrift „Anrisse im Nachkühlsystem“ teilt das Töpfer-Ministerium am 1. April mit, daß bereits im Juli 1991 an Kühlrohren im AKW Würgassen an zwei Schweißnähten „Anrisse“ festgestellt worden seien. Der Schaden sei inzwischen „saniert“ worden, so die beruhigende Töpfer-Version.

Nach Auskunft des für die Aufsicht des Atomkraftwerkes zuständigen Düsseldorfer Wirtschaftsministeriums hat das Betreiberunternehmen „Preussenelektra“ lediglich ein besonders tief angerissenes Kühlrohr ersetzt. Die andere Schweißnaht sei nachgebessert worden. Der Austausch werde im Mai folgen. Während die Grünen gestern die sofortige Stillegung forderten, hält das Wirtschaftsministerium den Weiterbetrieb für unproblematisch.

Die Risse der Kühlrohre haben mit der Altersschwäche des seit 20 Jahren betriebenen AKW Würgassen im übrigen nichts zu tun, denn die fraglichen Rohre sind erst Anfang der achtziger Jahre ausgewechselt worden. Die neuen Rohre aus „austenitischem Stahl“, einer besonderen Edelstahllegierung, galten bei den Werkstoffexperten als „basissicher“. Größere Risse wurden schlicht ausgeschlossen. Die jetzt bekannt gewordenen Schäden wertet der Sicherheitsexperte des Freiburger Ökoinstituts, Michael Sailer, denn auch als „große Blamage“ für die Werkstoffkundler. Der Vorfall in Würgassen dokumentiere „den Zusammenbruch der Sicherheitsphilosophie der letzten 10 Jahre“. Von der behaupteten „Basissicherheit“ der Kühlsysteme bleibe nicht mehr viel übrig. Mit den High-Tech-Rohren wurden neben Würgassen seinerzeit auch die Atomkraftwerke Brunsbüttel, Isar I und Philipsburg ausgerüstet. Während die Anlage in Würgassen sicherheitstechnisch gegen einen Bruch der angerissenen Rohrleitung ausgelegt ist und damit der Gau bei funktionierender Notkühlanlage wahrscheinlich vermieden werden könnte, fehlt nach Angaben von Sailer bei anderen Kraftwerken wegen der behaupteten „Basissicherheit“ der Rohre eine vergleichbare Sicherheitsvorkehrung. Ob die angerissenen Rohre, wie von Töpfer behauptet, bezüglich des Innendrucks noch „erhebliche Tragkraftreserven“ aufwiesen, ist zweifelhaft. Die Risse reichten bei einer Wanddicke der Rohre von 20 Millimetern bis zu 10,7 Millimeter tief und umfaßten fast zwei Drittel der Schweißnaht rund um das Rohr. Inzwischen hat Töpfer alle AKW-Betreiber durch eine „Weiterleitungsnachricht“ aufgefordert, zu prüfen, ob Fehler wie in Würgassen bei den jeweiligen Atommeilern „ausgeschlossen sind“. Gegebenenfalls seien „einzelne Schweißnähte mit geeigneten Prüfverfahren nachzubewerten“.