Keine Wende auf dem Arbeitsmarkt

Trotz Rückgang der Arbeitslosigkeit in Ost und West gibt die Bundesanstalt für Arbeit keine Entwarnung/ Der Anteil der Frauen unter den Erwerbslosen erreichte Rekordmarke von 62,3 Prozent  ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

In Ost und West ist zwar die Arbeitslosigkeit zurückgegangen, doch der Präsident der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit (BA), Heinrich Franke, warnt vor falschen Schlüssen. Unter dem Strich sieht er in den alten Bundesländern einen „konjunkturell gedämpften Arbeitsmarkt“, in den neuen Ländern vorwiegend „saisonale Faktoren“ und „arbeitsmarktpolitische Instrumente“ am Werk. „Für eine Wende am Arbeitsmarkt Ost sind die privatwirtschaftlichen Auftriebskräfte nach wie vor zu schwach“, monierte Franke.

Die Arbeitslosenzahl ging in der ehemaligen DDR im März gegenüber dem Vormonat um 70.200 auf 1,22 Millionen zurück. Die Quote verringerte sich damit von 15,9 auf 15 Prozent. Der Anteil der Frauen unter den Arbeitslosen stieg weiter. Im März erreichte er die neue Rekordmarke von 62,3 Prozent. Die Zahl der Kurzarbeiter ging um 24.900 auf 493.900 zurück. Franke rechnet aber „mit beträchtlichen Entlassungen“ zum Quartalstermin 30. Juni. Von im November 1990 noch 7,8 Millionen Erwerbstätigen sind nach Schätzung der Statistiker der BA derzeit nurmehr 6,25 Millionen übriggeblieben. Nachdrücklich forderte Franke die Privatwirtschaft auf, die zögerliche Haltung bei Investitionen im Osten aufzugeben. „Positives sei vor allem dem Einsatz arbeitsmarktpolitischer Instrumente zuzuschreiben“, klopfte sich Franke auf die eigene Schulter.

Damit leistete er dem stellvertretenden DGB-Vorsitzenden Ulf Fink (CDU) indirekt Schützenhilfe. Fink hatte den Vorschlag des Arbeitgeberpräsidenten Klaus Murmann, die benötigten Milliardeninvestitionen in Nacht- und Wochenendschichten sowie durch die Rückkehr zur 40-Stunden-Woche hereinzuarbeiten, scharf zurückgewiesen. Erst einmal müßten die Arbeitgeber ihren Beitrag zum Aufschwung Ost leisten, betonte Fink. Die Unternehmen hätten 670 Milliarden Mark liquide Mittel, aber bisher nur wenig in den fünf neuen Ländern investiert.

Die Entwicklung im Westen sieht BA-Präsident Franke nicht ohne Sorge. Dort habe sich zwar die Arbeitslosigkeit gegenüber dem Vormonat um 95.600 auf 1,77 Millionen verringert, saisonbereinigt sei sie aber ebenso wie die Kurzarbeit angestiegen. Nach Berechnungen der IG- Metall wird die Arbeitslosigkeit im Westen spürbar steigen, wenn mittelfristig 1,3 Millionen Arbeitsplätze für Angestellte verloren gehen werden. Neue Formen der Arbeitsorganisation machte das IG-Metall-Vorstandsmitglied Siegfried Bleicher bei der Eröffnung der 14. Angestelltenkonferenz der IGM in Köln für diese Entwicklung verantwortlich. Bleicher benannte konkret die Automobil- und die Computerindustrie als besonders gefährdete Branchen.