Bonn apart
: Aus dem Wasserwerk

■ Ein Rückblick auf die Türkei-Debatte im Bundestag

Mit eher müdem Pflichtapplaus reagierten die Abgeordneten der Regierungskoaltion auf die Rede des frisch geschaßten Verteidigungsministers Stoltenberg in der Bundestagsdebatte vom Donnerstag. Bei FDP aber auch bei CDU und CSU enthielt sich so manche(r) jeglichen Beifalls. Nur einer sprang von seiner Hinterbank auf, eilte zu Stoltenberg und drückte ihm mit einer devoten Verbeugung die Hand: Rainer Eppelmann, einst bekanntgeworden als Pazifist und Friedensbewegter in der DDR, deren letzter Verteidigungsminister er war. Eppelmann startete damals die Verscherbelung von Waffen und Munition der NVA an die Türkei und andere Staaten, die die von Stoltenberg geführte Hardthöhe dann in großem Stil fortsetzte. Was die türkischen Militärs mit diesen Waffen unter der kurdischen Zivilbevölkerung anrichten, schilderte die vor kurzem aus Südostanatolien zurückgekehrte PDS-Abgeordnete Jelpke. Die meisten Koalitionsabgeordneten verließen den Saal. Der Kanzler war schon vorher aufgebrochen. Stoltenbergs Nachfolger Rühe nutzte die Jelpke-Rede zu Gesprächen mit Gratulanten zu seinem neuen Amt. Dann entschwand auch er zu einer ersten wichtigen Amtshandlung: eine Rede auf dem Empfang der Hardthöhe für die 30 Bundeswehrangehörigen unter den deutschen Teilnehmern an den olympischen Winterspielen. Sie errangen die Hälfte aller Medaillen und stellten ein Viertel des deutschen Teams in Albertville. Wenn das kein überzeugender Grund ist, weiterhin jährlich 50 Milliarden Mark für die Truppe auszugeben!

Die bei Jelpkes Rede im Saal verbliebenen Koalitionsabgeordneten störten die PDS-Abgeordnete ununterbrochen mit Zwischenrufen und lauten Gesprächen. Bundestagsvizepräsidentin Süssmuth war nicht in der Lage, Ruhe herzustellen. Weil Jelpke ihre Redezeit wegen der Störungen notgedrungen überzogen hatte, zog Süßmuth dem PDS-Vorsitzenden Gysi später jedoch von seinen fünf Minuten Redezeit zwei ab — ohne ihn vorher darüber zu informieren.

Den stärksten Beifall der Oppositionsparteien erhielt — neben SPD-Fraktionschef Klose — der ehemalige CSU-Abgeordnete Lowack. Der heute fraktionslose Staatsanwalt kritisierte scharf die Außen- und Menschenrechtspolitik von Kohl und Genscher in den Fällen Türkei und China: „Die Bundesregierung klebt an dem Blutregime in Peking. Das Problem bei der Türkeipolitik ist die Wankelmütigkeit des Kanzlers.“ Unter lauten Protesten von den Unionsbänken äußerte Lowack „Zuversicht, daß die tieferen Ursachen für die so lange bewiesene Nibelungentreue des Kanzlers zu Stoltenberg eines Tages ans Licht kommen werden.“ Als er zu seinem angestammten Sitz in den Unionsreihen zurückkehren wollte, wies ihn ein CDU-Abgeordneter an, sich doch bei den Oppositionsfraktionen niederzulassen. So viel Platz ist im Bonner Wasserwerk für Abgeordnete mit einem unabhängigen Kopf. Andreas Zumach