■ PREDIGTKRITIK
: Die Essentials der Passion

Die Tage bis Ostern sind gezählt, und so werden auch die Bilder, die uns der Pfarrer Christof Gestrich von der Kanzel des Berliner Doms in Mitte herunterpredigt, Sonntag für Sonntag immer schrecklicher: Jesus, von den schlafenden Jüngern verlassen, allein im Garten Getsemane; Jesus gebeugt über den bitteren Kelch, endlich: Jesus im Leiden am Kreuz. Am Karfreitag dann wird sich der Himmel nachmittags um drei verdunkeln, wird das Werk für dieses Jahr vollbracht sein. Der Sohn Gottes ist dann für dieses Jahr tot.

Das war seinerzeit beileibe keine einfache Aufgabe, selbst für den Sohn Gottes nicht. Im Hebräerbrief können wir nachlesen, daß auch der »Schmerzensmann« und »Sohn Gottes«, der da für uns am Kreuz hing, nicht frei von menschlichem Leid, von irdischen Zweifeln und großen Qualen war: »Und er hat in den Tagen seines Fleisches Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Tränen geopfert zu dem, der ihm von dem Tode konnte aushelfen.« Obwohl er also Gottes Sohn war, hat er ganz menschlich gelitten, hat geweint und gezetert, gezweifelt und um Verschonung gebeten. Dann aber, so steht es weiter im Hebräerbrief, hat er das Ruder herumgerissen »und wiewohl er Gottes Sohn war, hat er doch an dem, das er litt, Gehorsam gelernt.« Und so kommt Pfarrer Christof Gestrich, der nebenher auch noch Theologieprofessor an der Kirchlichen Hochschule (West) ist und es daher ja wissen muß, zu der, wie er es sagt, »befreienden Wahrheit hinter dem Wort«, zu den drei Essentials der Passion, wie Jesus sie uns vorgelebt hat: Es ist der Gehorsam, das Leiden und das Flehen.

»Wenn man weiß, wem man gehört, ist der Gehorsam keine Pflicht, sondern ein natürliche Lebensform«, weiß der gute Christ, und er weiß auch, daß er eigentlich niemandem gehört, auch sich selbst nicht — sondern, wenn überhaupt, dann nur dem lieben Gott. Dem, und nur dem, sollen wir gehorsam sein, ihm dürfen, wollen, müssen wir dienen. Nicht etwa einer irgend gearteten Obrigkeit, die immer wieder versucht, vom vierten Gebot (Du sollst Vater und Mutter ehren...) den absoluten Gehorsam einer weltlichen Obrigkeit abzuleiten. Denn der »ewige Damm gegen die menschliche Selbstverstümmelung ist allein die Gottesgehörigkeit«, nur diesem einen Vater sind wir wirklich unterstellt und ihm zu gehorchen, ist kein irdisches Joch — nein, es macht uns frei.

Trotzdem ist es manchmal natürlich schwierig, dieses freimachende Dienen. Das mußte Abraham erfahren, der seinen eigenen Sohn seinem Herrn opfern sollte, das hat Jesus am Kreuz gemerkt, und das stellen wir Christen auch jeden Tag fest. Der Gehorsam ist immer wieder auch ein Leidensweg, eine Passion. Es sei eben eine »schlimme Erfahrung, daß Himmel und Erde nicht zusammen zu haben sind«, bemerkt Prof. Christof Gestrich, allzuoft scheitere das Licht an der Finsternis, das Reine am Unreinen. So ist die Welt, und dieses Leid kann auch der Gläubige nicht lösen. Selbst in der Passionszeit nicht.

Drum müssen auch wir, wie Jesus es uns vorgemacht hat, hin und wieder Tränen vergießen, müssen um Verschonung flehen ob der Schlechtigkeit dieser Welt. Dann aber wird die Lust am Gehorsam siegen, wie sie einst bei Jesus gesiegt hat. Wir werden uns in unser Schicksal fügen, werden über uns hinauswachsen und feststellen, daß uns auf diese Weise Hoffnung gegeben werden wird. Denn dafür ist Gottes Sohn gestorben, auf daß wir das Licht in der Finsternis sehen, die Tür zur Freiheit und zum Leben öffnen können, wo schon alle Türen verschlossen sind. Dafür hat er uns vorgemacht, wie es sich mit Gehorsam, Leid und Flehen verhält. Wie man leiden kann, und doch nicht endgültig verzweifelt, sondern am Ende aus all dem Schrecklichen der Welt auch noch etwas Gutes zaubern kann.

Wir Christen müssen es jetzt nur noch nachmachen. Kunststück! Klaudia Brunst