GRAND PRIX

■ Es menschelt und fraternisiert - pure Spekulation ohne Scham

Seit 42 Jahren jedes Jahr, vier Tage im Februar, eine Stadt in Gelb und Blau: San Remo in den Farben des Festivals. Das italienische Schlagerfestival. Mehr als 60 Künstler im Wettbewerb, unterteilt in Campioni und Novita, in Sieger aus den Jahren zuvor und in Newcomer. Vier lange Abende auf der Bühne des Teatro Ariston und auf den Fernsehschirmen des Landes, Einschaltquote fast 70 Prozent. Alle sind dabei, und musikalisch ist alles erlaubt: Rap und sardische Folklore, Liedermacher und Rock, Chanson klassisch und Schlager ganz schlicht.

Ein großes Festival der Musik, mit Lindenberg und Valaitis, mit Grönemeyer und den Wildecker Herzbuben, mit Biermann und den Scorpions: undenkbar. Dafür darf Westernhagen sagen, daß er stolz darauf ist, noch nie in der ZDF- Hitparade gesungen zu haben. Die Ordnung hat ihre Hierarchie. Mit dem Schlager ganz unten, samt seinen Interpreten. Die Fuzzis sind keine Künstler.

Die Allerletzten suchten letzte Woche nach ihrem Ersten, der den Freiflug gewinnen soll nach Malmö, zum Grand Prix Eurovision de la Chanson. Da waren es nur noch sechs im neuen Deutschland, auf der Bühne in Magdeburg. Abgespeckt das Teilnehmerfeld und die Sendezeit. Weil es keiner mehr sehen will.

So schlimm war es noch nie. Das wußten alle schon vorher. Die Besserwisser vom Feuilleton sowieso, ohne Sinn fürs Interesse. Aber auch die Liebhaber, die Kenner, die den Absturz magisch vorabbeschwören, weil ihre Hoffnung unschlagbar ist, daß es doch noch anders kommen könnte.

Es kommt nicht anders. Dafür sorgen die Herren vom Münchner Schlagerkartell, Siegel und Meinunger, die seit 1979 — mit zwei, drei Ausnahmen — obenauf sind. Als Komponisten und Texter und Produzenten, am liebsten alles in Personalunion.

Sie sind die Gewinner, mit Künstlern im Schlepptau, die sich im Rampenlicht über den Tisch ziehen lassen. No-names-No-faces und Gruppen aus der Retorte, die nichts wollen als einen Preis. Die nichts zeigen dafür als ihre blanke Dummheit, und ihre Stimme für den Grand Prix ebenso gerne hergeben wie für die Margarinewerbung.

Die Texte vor sich hinlallen, egal was. EinbißchenFrieden Füralle ÜberdieBrückegeh'n LaßdieSonneindeinHerz LiedfüreinenFreund Freizuleben DieserTraumdarfniemalssterben. Das menschelt und fraternisiert, ganz pure Spekulation ohne Scham.

Der Siegertitel von Magdeburg ist wieder von Meinunger und Siegel gebastelt, mit Männern ohne Arbeit im Text und weinenden Frauen mit Kind. Das ist dem Volk aufs Elend geschaut, und dann wird ordentlich eins drübergebraten mit dem Refrain: „Träumesindfüralleda.“ Angeboten von frischgewischten Teen-Gesichtern und stimmlich ganz Muzak von der Supermarktdecke. Zynismus ohne Grenzen.

Die dafür Verantwortlichen, die Öffentlich- Rechtlichen mit den Fachjuroren — von welchem Fach? — hinter verschlossenen Türen ziehen seit Jahr und Tag ihre Kandidatentitel aus Papierkörben und Müllsäcken, ohne sich auch nur einmal aus dem Fenster zu hängen. Was sie da hören könnten, dringt nicht an ihr Ohr. Kein Trend, kein Zeitgeist, nix Modernes, kein Pop (meint: populär). Ihre hartnäckige Banausentätigkeit beweist nichts weiter als ihr definitives Desinteresse. Und Schmiergelder kann keiner beweisen.

Es gibt keinen Ausweg aus dem Dilemma. Nur den Schlußstrich. Schluß mit dem Vorentscheid für den Grand Prix, Schluß mit jedem anderen Schlagerwettbeweb in diesem Land. Magdeburg ist nicht San Remo und Ralph Siegel kein Franco Battiato. Die Zyniker, die hier die Branche bestellen, sollten in die Werbung gehen. „Darauf fährt jede Nudel ab — yeah.“

ESMENSCHELTUNDFRATERNISIERT—PURESPEKULATIONOHNESCHAM