Rückkehr zum Klischee

Westernhagen kommt — immer noch  ■  Von Harald Keller

In Kürze beginnt seine Tournee durch Deutschlands Arenen. Die etwa 700.000 Karten sind größtenteils schon etliche Monate vor den Konzertterminen über die Tresen der Vorverkaufsstellen gegangen. Allein die Vorbestellungen für sein neues Album Ja Ja haben ihm bereits eine Goldene Schallplatte eingebracht; kein Radioprogramm kommt ohne seine neue Single aus. Marius Müller-Westernhagen ist derzeit unerbittlich präsent.

Dabei hatte sich der 43jährige vom Rock'n‘Roll-Zirkus bereits verabschiedet, wollte kein „Theo“ mehr sein, nicht den Pfefferminz- Prinzen mimen und keineswegs auf ewig die gängigen Rockklischees reproduzieren. Auf zwei Alben, Die Sonne so rot und Lausige Zeiten, arbeitete er experimentell mit Computern und Rhythmusmaschinen. Nur ein Teil seines Publikums folgte diesem Schritt nach vorn. Die Verkaufs- und Popularitätskurven knickten ein, Westernhagen-Konzerte fanden nur noch in kleinen Clubs statt. Offenbar mochte sich der einst so erfolgsverwöhnte Schauspieler/Musiker nicht an den Niedergang gewöhnen. Nach dem unentschlossenen Übergangswerk Westernhagen (1987) waren die Rockklischees auf Hallelujah (1989) wieder da, plakativer denn je, epigonal, aber mit ausgefuchstem Raffinement aufbereitet; nicht munter vermengt, spielerisch und augenzwinkernd verrührt, sondern präzis und zielgruppenorientiert montiert. Der Erfolg der Singleauskopplung SeXy katapultierte das Album in die Charts, verhalf auch noch dem obligaten Live- Mitschnitt zum Verkaufserfolg; der Titel selbst wurde zur Bierzelthymne, zum Partyhit mit Evergreen- Qualität. Den wirft der Freizeitcowboy in seinen Rekorder, wenn er mit dem Manta ins Wochenende startet.

Die Kompositionen auf Ja Ja folgen der bewährten Rezeptur. Die Single Krieg ist SeXy, und beide sind recycelt aus alten Nummern der Stones und Rod Stewarts. Ohne Arg arrangiert Westernhagen die Versatzstücke, in Krieg unter anderem die Gitarrenakzente aus Rock and A Hard Place bis zu den Chören aus Sympathy For The Devil. Sein Publikum liebt eingängige Refrains, den Shuffle-Rhythmus, die Wunderkerzenballaden. Doch die Musik allein würde nicht funktionieren. Der Westernhagen-Effekt liegt in der Übereinstimmung seines Auftretens und der rotzig-trotzigen Flegelhaftigkeit seiner Texte, die, trotz aller Abrede, noch immer Theos Kampf gegen den Rest der Welt beschreiben. Als Omnipotenz mimender Hühnerbrust- Kinski wird der Mann auf der Bühne zum Idol. Großmäuliges Brunftgehabe dient der Selbstvergewisserung: „Dreh dich nicht um/ Schieb nur den Rock hoch/ (...)/ Wir machen es gleich hier“ (aus „Dreh dich nicht um“). Oder: „Ich bin feuchter/ Als die Feuerwehr/ Halaliiiiiii/ Lad' mein Gewehr.“ Für den Autor sind das professionell durchgezogene Rollenspiele, „praktizierte Schizophrenie“, wie er selbst zu sagen pflegt. Im 'Stern‘-Interview: „Ich gehe auf die Bühne, und es ist ein unglaubliches Gefühl. Und ich gehe wieder runter, ziehe die Klamotten aus und bin wieder Privatmann. Man darf Konzerte nicht als Realität betrachten.“ Mit dieser Erkenntnis ist er allerdings seinem Publikum einige Schritte voraus, das sich stärker mit der Kunstfigur Westernhagen identifiziert, als der Rockstar-Darsteller wahrhaben will. Seine nebulösen und unverbindlichen Texte — jede Zeile ein Autoaufkleber — tun das ihrige und bieten Anknüpfungspunkte für jede Befindlichkeit. Wenngleich sperriger, zum Teil grauenhaft schlecht gereimt („Du warst die Frau aus dem Roman/ Ich war der Mann, der alles kann“), treffen Westernhagens Songs in die Maffay-Kerbe, wobei er sich im Gegensatz zu jenem nicht einmal als Freizeit-Cowboy verkleiden muß, sondern im Designerdress vor seine Gefolgschaft tritt. Ein eigentümliches Phänomen: Dieser Mann macht seinem Publikum nichts vor, spricht offen aus, daß er seine Auftritte als Job begreift, daß er den Rock'n‘Roll nicht lebt, sondern illustriert.

Trotz aller Widersprüchlichkeiten schwören seine Fans auf ihn und halten den Sänger für eine ehrliche Haut — credibility nennt das der Angelsachse. Was immerhin eines beweist: Er leistet gute Arbeit in seinem Job.

Westernhagen: Ja Ja. WEA, 9031-76467-2 (CD mit vier Bonustracks).