„Relative“ Mehrheiten im Dreivölkerstaat

■ In Bosnien-Herzegowina leben Moslems, Serben und Kroaten zusammen

Über 40 Jahre lang lebten die Völker Jugoslawiens in relativem Frieden zusammen. Auch in Bosnien-Herzegowina. Doch nun haben die Auseinandersetzungen, die den Zerfall des Bundesstaates begleiten, auch auf diese Republik übergegriffen. Ein offener Krieg aber droht hier — wie schon in den 40er Jahren während der Auseinandersetzungen zwischen der Miliz der kroatischen Ustascha-Republik, den serbischen Tschetniks und Titos Partisanen — besonders grausam und unkontrollierbar zu werden. Die Bevölkerung Bosnien-Herzegowinas setzt sich aus 44 Prozent Moslems, 31 Prozent Serben und 16 Prozent Kroaten zusammen. Im strengen Sinn kann man nicht von verschiedenen Völkern reden; denn was die Moslems, denen von Tito erstmals der Status eines Volkes zuerkannt wurde, (orthodoxe) Serben und (katholische) Kroaten trennt, ist im wesentlichen die Religion. Die „ethnische Landkarte“ Bosnien-Herzegowinas sieht wie ein Leopardenfell aus. Es gibt kaum größere geschlossene Siedlungsgebiete einer Volksgruppe, und es gibt nur wenige dünn besiedelte Gebiete, in denen eine der drei Volksgruppen über 80 Prozent der Bevölkerung ausmacht. In fast allen größeren Städten gibt es nur relative „ethnische“ Mehrheiten. So leben in Sarajevo, der Hauptstadt der Republik, 49 Prozent Moslems, 28 Prozent Serben und 7 Prozent Kroaten; in Mostar, dem Hauptort der Herzegowina, leben neben 35 Prozent Moslems 34 Prozent Kroaten und 19 Prozent Serben.

Eine Teilung der Republik längs „ethnischer“ Kriterien scheint somit ausgeschlossen. Trotzdem haben sich Moslems, Serben und Kroaten vor einem Monat darauf geeinigt, die Republik in „ethnische“ Kantone aufzugliedern. Die moslemische Partei, die von Präsident Izetbegovic angeführt wird, erhoffte sich dadurch eine schnellere Anerkennung durch die EG, nachdem bei einem Referendum, das von serbischer Seite allerdings boykottiert wurde, 99 Prozent der Urnengänger für die Unabhängigkeit votiert hatten. Die serbische Partei sieht die Kantonisierung offenbar nur als Übergangsstadium zum Anschluß serbischer Gebiete an die Republik Serbien. Die kroatische Partei ihrerseits scheint zwischen einer Fraktion, die auf den Anschluß an Kroatien setzt, und einer Fraktion, die die Unabhängigkeit der Republik anstrebt, gespalten. thos