»Noch ein hörbarer Unterschied um 180 Grad«

■ Jugendradio-Kooperation in Berlin-Brandenburg: Ein Interview mit der Chefredakteurin von Rockradio B, Silke Hasselmann (ORB), dem stellvertretenden Chef von DT 64, Ulrich Clauß (MDR), und dem Radio 4 U-Chef Helmut Lehnert (SFB)

Ab 1. Juni wird Jugendradio DT 64 in Berlin-Brandenburg nicht mehr zu hören sein. SFB und ORB übernehmen dann die Frequenz 102,6 ganz für ein gemeinsames Jugendprogramm. Bislang »teilen« sich Rockradio B (ORB) und DT 64 als »Jugendprogramm des MDR« diese Frequenz. Zur Zeit sucht der MDR ungenutzte regionale, aber auch militärische Frequenzen für DT 64 in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen (eigene Wellen will der MDR nicht freimachen). Rockradio B und Radio 4 U (SFB) sind von den Politikern und den Funk-Oberen zur Kooperation gezwungen worden. Während der SFB eine werbefinanzierte Jugendwelle will, möchte der ORB das Programm möglichst ohne Werbung machen. Die »Federführung« über die Jugendwelle soll jährlich zwischen den Sendern wechseln und liegt zunächst beim ORB. Geleitet werden soll die gemeinsame Redaktion aus jeweils neun festen Redakteuren, allerdings gemeinsam. Die taz sprach mit der Silke Hasselmann, die vorher bei DT 64 war, dem alten »sf-beat«- Hasen Helmut Lehnert und Ulrich Clauß, der beim SFB anfing, dann zum Privatsender »ffn« ging und nun beim MDR ist.

taz: Fast ein Dutzend DT 64-Leute sind zu Rockradio B übergewechselt. Wie könnt Ihr euch da noch profilieren, Ulrich Clauß?

Clauß: Wir brauchen uns auch nicht zu fragen, wer DT 64 ist. Das kann man ja jeden Tag hören. Der Stamm der Mitarbeiter kommt aus dem Osten, nur fünfzehn Prozent sind aus dem Westen.

Sie zum Beispiel. Bereiten Sie schon den Umzug nach Leipzig zum MDR vor?

Clauß: Ich muß erst mal Dampf ablassen: Die Fusion der Jugendwellen ist das Ergebnis einer CDU-Medienpolitik, die einmal mehr gegen die ARD schlägt. Mit dem Versuch, DT 64 aus diesem Raum hier zu verdrängen, und Radio 4 U vom SFB zu liquidieren, werden zwanzig Prozent Einschaltquote in der Zielgruppe zwischen 18 und 30 Jahren frei. Ich glaube — bei allem Respekt für die Kollegen — nicht, daß die mit der neuen Jugendwelle mehr als zwei Prozent werden binden können. Die restlichen achtzehn Prozent gehen dann unmittelbar zum ersten Juni in den Markt, an die Privaten, werden von RTL-Radio, Radio Energy und einem privatisierten RIAS 2 aufgenommen.

Und was wird DT 64 machen?

Clauß: Unsere Perspektive steht auf zwei Beinen. Das eine ist das öffentlich-rechtliche als Jugendprogramm des MDR. Das andere ist das einer soliden Privatisierung im berlin- brandenburgischen Raum. Der MDR-Intendant sieht das halbe Jahr auch als Parkphase, damit wir uns entsprechend professionalisieren können.

Der öffentlich-rechtliche Sender läßt euch für den Privatfunk ausbilden?

Clauß: Udo Reiter hat das gesagt. Und ich habe als Macher, der auch eine Fürsorgepflicht gegenüber den Mitarbeitern hat, dieses Angebot anzunehmen. Über die Details der laufenden Verhandlungen und über die konkreten privaten Interessenten kann und will ich mich hier nicht äußern. Jugendprogramm des MDR zu bleiben ist allerdings unsere Priorität.

Lehnert: Leider war dem MDR und keinem anderen öffentlich-rechtlichen Sender DT 64 soviel wert, daß er dafür eigene Frequenzen freigemacht hätte. Auch im Westen macht keiner freiwillig eine ganze eigene Jugendwelle. Insofern ist das Angebot von Udo Reiter fadenscheinig. Wenn er DT 64 wirklich will, dann setzt er das auch durch.

Hasselmann: Natürlich können die Leute, die sich alleingelassen fühlen, am 1. Juni umschalten. Aber umschalten können die Leute auch jetzt schon: Wenn ihnen eine Moderation nicht gefällt, ein Musiktitel oder ein Wortbeitrag — dann sind sie weg. Es wird ja kein schwarzes Loch geben. Wir kommen von DT 64 und versuchen, dies in die Verhandlungen einzubringen — wir müssen aber auch versuchen, die Hörerschaften von Rockradio B und von Radio 4 U zusammenzubringen. Zwar unterscheiden sich beide Wellen noch hörbar um fast 180 Grad. Aber bei jeder Verhandlungsrunde bewegt sich etwas.

Lehnert: Die neue Welle muß ein vollkommen neues Angebot sein, damit keine falschen Hoffnungen geweckt werden. Wir von Radio 4 U können kein DT 64-Programm machen, denn wir haben eine andere Philosophie und hatten niemals so viele Leute und soviel Geld.

Wird DT 64 mit der neuen Welle kooperieren?

Clauß: Es werden keine Türen zugeschlagen. Aber mit dem ganz klar subkulturell und minderheitenorientierten Programm, das Rockradio B jetzt schon macht, ist die Masse der Jugendlichen nicht zu holen. Nicht mit dieser Konzentration auf soziale Brennpunkte, diesem Problemradio. Da stehen die Macher im Mittelpunkt, nicht die Hörer.

Wie soll die neue Jugendwelle denn nun aussehen?

Lehnert: Darüber schon in diesem Gespräch zu reden wäre unseriös — das ist alles sehr basisdemokratisch organisiert.

Hasselmann: Wir erfinden das Radio ja nicht neu. DT 64 als Idee eines Programms, das nicht 24 Stunden lang völlig durchgesteuert ist, ist uns weiter sympathisch.

Was gibt euch denn die Hoffnung, daß so ein Ost-West-Projekt funktioniert?

Hasselmann: Da eine solche Kooperation so gut wie noch nie geklappt hat, ist dieses Experiment besonders spannend.

Lehnert: Mir gefällt dieser hochstilisierte Ost-West-Konflikt nicht. Das stimmt so nicht, das ist eine Auseinandersetzung zwischen Leuten, die unterschiedliche Auffassungen von Professionalität haben. Features, längere Wortbeiträge, Talk- Radio? Das ist kein Problem für mich, wenn es gut gemacht ist. Solche Diskussionen gibt es und gab es doch überall: Wie durchhörbar muß man sein, und wo hören die Kompromisse auf. Wir müssen uns daran gewöhnen, über Wirtschaftlichkeit und Einschaltquoten nachzudenken.

Clauß: Den Ost-West-Gegensatz kann man nicht wegreden. Die im Westen haben einen Know-how- Vorsprung. Die im Osten haben eine Radiokultur. Das kann man auch polarisieren zum Gegensatz: Stellvertreter-Radio gegen populäres Radio. Die Linie dazwischen ist die ehemalige Demarkationslinie. Es geht darum, ob man für die Reichweite Opfer bringen will oder ob man weiter ein Programm nach eigenem Gusto machen möchte, aus dem eigenen Plattenschrank. Meine Kritik ist, daß es den Rockradio-Leuten leider mehr um die Identität der MacherInnen geht, als um den Schatz der bestehenden Hörerbindung.

Aber die härtesten BefürworterInnen des Stellvertreter-Radios, die ist DT 64 doch im Dutzend an den ORB losgeworden...

Clauß: Die Behauptung, daß die Vertreter der reinen Lehre und der gute Idee frustiert über den Populismus von DT 64 weggegangen seien, ist völliger Quatsch.

Diskutiert ihr eine Zusammenarbeit zwischen ORB und MDR?

Hasselmann: Uns schwebte eine Zusammenarbeit zwischen zwei gleichbrechtigten Partnern vor, auch wenn sie unterschiedlich groß und unterschiedlich reich sind. Bei den Verhandlungsansätzen kam es in dieser Hinsicht zu Dissonanzen.

Clauß: Die ORB-Hörfunkdirektion hat euch ein Verhandlungsmandat über den üblichen ARD-Programmaustausch hinaus gar nicht erst erteilt.

Hasselmann: Gemeinsame Redaktionen waren nicht gewollt.

Lehnert: Es kommt doch darauf an, ob man den MDR, der ja schon eine Dreiländeranstalt ist, auch noch in Berlin-Brandenburg mitreden lassen will. Sollen die noch in ein viertes oder fünftes Bundesland einreiten? Wenn der MDR hier miteingestiegen wäre, dann wäre Radio 4 U zu einem bloßen Fenster im Programm degradiert worden.

Hasselmann: Wir sind zum Testballon gemacht worden. Schließlich sollen auch die Länder mal vereinigt werden. Es ist ein Test auf allen Ebenen der Politik und der Anstalten. Viele dieser bizarren Geschichten haben weniger mit Geld oder politischen Meinungen zu tun als mit persönlichen Eitelkeiten. Vieles hängt davon ab, was an den Biertischen beredet wird oder davon, in welcher Tagesform die einzelnen Leute sind. Das hat nicht nur mit Ost-West-Auseinandersetzungen zu tun: Schließlich sind die Intendanten Rosenbauer vom ORB und Lojewski vom SFB beide aus dem Westen.

Was bedeutet eigentlich die »Federführung« des ORB für die konkrete tägliche Arbeit?

Hasselmann: Das ist noch nicht vollständig definiert. Ich denke, das greift nur dann, wenn sich die Redaktionen und Sender wirklich nicht einigen können. Etwa in der Standortfrage. Masurenallee, Nalepastraße, Potsdam. Weil Potsdam noch nicht akut ist, bietet jede Seite ihren Standort an. Der SFB ist zwar von der Hardware her besser ausgestattet, aber bei uns wird auch investiert. Die Federführung könnte möglicherweise auch greifen bei einzelnen, strittigen Programmpunkten. Wir sind nicht an Machtspielen interessiert, es geht um Kompromisse.

Lehnert: Mir geht es um ein gutes Programm, da ist mir die Federführung egal. Aber die technische Aufrüstung der Nalepastraße ist eine idiotische Entscheidung des ORB. Die Nalepastraße liegt am Ende der Welt, und bei uns in der Masurenallee ist technisch schon alles vorhanden. Völlig unverständlich: denn beide Anstalten sind finanzschwache Anstalten.

Hasselmann: Vielleicht läßt sich auch noch bis Juni in Potsdam eine Möglichkeit schaffen, um Ärger aus dem Weg zu gehen. Denn es soll ja keine geteilte Redaktion, keine Übergangsphase mit nur kleinen gemeinsamen Programmstrecken mehr geben. Spätestens am 1. Juni ist der Programmstart. Gespräch: Ilona Mahrenbach

und Hans-Hermann Kotte