Zum Damenpreis

■ Hairstyling als Wegweiser zur multikulturellen Gesellschaft

Gute Adressen wurden schon immer hoch gehandelt. Zahn- und Hausärzte, Masseurinnen und Putzfrauen sind eben Vertrauenssache. Lange waren es die Gynäkologen, die besonders von der Gunst von Damenkaffeekränzchen und Frauenbuchläden abhingen. Wer es einmal geschafft hat, in die Kartei »empfehlenswert« zu kommen, hat ausgesorgt. Und recht so! Gynäkologen sind oft immer noch der Meinung, die Würde der Frau sei abtastbar. So ist es verständlich, daß gerade die frauenbewegte Frau in der Wahl ihrer Ärztin, Rechtsanwältin oder Psychotherapeutin auf den Rat ihrer besten Freundin hört. Aber die Götter in Weiß sind längst kein Thema mehr in der Szene. Heute suchen wir Frauen vor allem den passenden Friseur!

Schon mit 14 mußte ich feststellen, daß mein Kopf unausweichlich der Mode unterworfen war, solange ich ihn einer Friseuse überließ. Diese jeweiligen Modetrends paßten mal mehr, mal weniger zu mir. Als Ringellöckchen en vogue waren — meine Friseuse nannte das neckisch »mini-plis« — vergrub ich mich anschließend erst vier Wochen in meinem Zimmer und beschloß dann, von nun an das viele Geld für die Frisur zu sparen. Der Feminismus und das alternative Modebewußtsein kamen mir freilich bei meinem ersten Wirtschaftsboykott sehr entgegen. Aber: The times they are a-changin'. Wer heute nicht schon im Haaransatz als altbacken belächelt werden will, muß schon etwas investieren, ganz nach dem Motto, demzufolge Schönsein ist zwar ein Zufall, Schönmachen aber keine Schande ist.

Über die neue Lust am verführerischen Schick ist schon viel geschrieben worden. Und das individuell normierte Modediktat, das neuerdings von naturschönen Frauen wie Jill Sander bestimmt wird, läßt uns wunderbare Freiheiten. Heikel wird es erst beim Friseur. Ob kurze oder lange Haare, dauergewellt oder naturbelassen — das ist auch heute noch ein Glaubensbekenntnis. Und die falsch verpaßte Frisur zur richtigen Gesinnung hat schon so mancher Frau den Schlaf geraubt. Angeblich bemüht sich die Friseurinnung, mit der Zeit zu gehen. Die Schlagworte heißen »individuelle Beratung« und »persönliche Note«. Ich werde trotzdem den Verdacht nicht los, daß man selbst beim alternativen Friseur immer noch nach dem Prinzip »Gleicher Chic für alle« frisiert wird. Mitbestimmungsrecht hat die (immerhin zahlende) Kundin nur in der Wahl des Unternehmens. Wer auch heute noch aussehen möchte wie Pam Ewing, geht am besten zu »Udo Waltz« am Ku'damm. Wer den modischen Einheits-Brikettschnitt mit bunten Reflexen bevorzugt oder sich einen Mondrian auf den Hinterkopf färben lassen will, ist am besten bei einem dieser Kreuzberger »Hairstylisten« aufgehoben. Und wer keine individuellen Wünsche hat, aber für Waschen/Schneiden/Legen nicht mehr als 30 Mark ausgeben will, geht zum Friseur an der Ecke. Womit wir beim Geld wären.

Ich weiß nicht, wie es anderen Frauen geht — meine Haare wachsen wie Unkraut. Eigentlich muß ich alle vierzehn Tage nachschneiden. Aber wer kann sich das heute noch leisten? Selbst ohne besondere Haarwäsche, Kurspülung, ohne Kaffee und Einzelberatung, allein das nackte Haarschneiden kostet in aller Regel schon 49,90DM. Umsonst ist beim Friseur nur noch das Zeitunglesen. Kein Wunder, daß das Gespräch über den richtigen Friseur nicht mehr allein die »Machen-Sie-das-Beste-aus-ihrem-Typ-Klientel« der 'Brigitte‘- Clubs betrifft.

Aber die routinierte Frage: »Wie soll's denn werden?« ist im Friseursalon fast immer rhetorisch gemeint. Niemals habe ich erlebt, daß sich eine Friseuse wirklich an meine Anweisung hält. Selbst wenn man sich in die wundersame Fachsprache eingearbeitet hat, mit Ausdrücken wie »Deckhaar«, »kammkurz« und »evilieren« aufwarten kann — niemand sollte meinen, damit wäre die Mitsprache gesichert. Einem Friseur kann man vertrauen oder eben nicht. Noch nicht einmal dem Zahnarzt ist man so ausgeliefert wie auf einem Frisiersessel, qualvoll verpackt in Krepp und Plastikumhang. Was ist ein durchlöcherter Backenzahn schon gegen eine Frisur, mit der mir in der U-Bahn ständig ein Sitzplatz angeboten wird?

Nichts habe ich unversucht gelassen, um meinen Friseur zu finden, und bald war mir klar: Es muß ein Mann sein. Ich habe ein gespanntes Verhältnis zu Friseusen (und zu Boutique-Besitzerinnen, aber das gehört hier nicht zur Sache). Friseusen sind die Speerspitze des Patriarchats. Davon bin ich inzwischen überzeugt. Niemand vermag so gnadenlos mit einem einzigen Blick zu vermitteln, daß die Frau doch erst durch langes, geschmeidiges Haar zur Frau wird. Warum verunsichert mich ihr taxierender Blick so? Kein Mann könnte das schaffen! Kopf nach unten, Augen fest geschlossen, unter dem starken Eindruck von schwerem Parfüm und leichtester Konversation, beschließe ich, noch heute den »Kleinen Unterschied« zu verbrennen. Die vermeintliche Erkenntnis, mein Leben verpfuscht zu haben, verflüchtigt sich aber, als ich meine Brille wieder aufsetze und sie mir voller Künstlerstolz das Ergebnis ihres Handwerks zeigt. Aus mir wird eben nie eine Julia Roberts. Was mich da im Spiegel anstarrt, paßt eher in einen Quelle-Katalog. Als Antwort auf meine enttäuschte Miene schaut sie mich mit jenem abschätzenden Blick an, der sagt: »Die Frisur ist in Ordnung — was kann ich für ihr Gesicht?«

Da die derzeit tonangebenden homophilen Hairstylisten rund um den Winterfeldplatz für mich unbezahlbar sind, gab es nur noch einen Ausweg, wollte ich nicht reumütig zu meiner hobbyweise haareschneidenden Freundin zurückkehren. Der Herren-Friseur. Und weiß ich nicht sowieso schon längst, daß sich meine Friseuse die Rasiermaschine für meinen Nacken immer von ihrem Kollegen ausborgen muß? Wäre ich dann nicht viel besser direkt bei ihm aufgehoben? Zumal mich das einiges weniger kosten würde?

Seit einem Jahr bin ich so richtig glücklich. Endlich habe ich nämlich ihn gefunden. Unauffällig, wortkarg, unelegant, aber virtuos in seinem Fach. Und ein Vertrauter. Es war einer jener wirklich guten Tips, die ich je auf die »Kennst-du-nicht«- Frage gekriegt habe. Ein türkischer Herren-Friseur. Vermutlich bin ich sein einziger deutscher Kunde, bestimmt aber die einzige Kundin. Wir sind ein eingespieltes Team. Kopf hoch, Kopf runter, nach rechts, nach links neigen — einer von der guten alten Schule. Hier wird nicht übers Wetter philosophiert, sondern wahre Handwerkskunst vorgeführt. Hat er meinem Haar die gewohnte Fasson wiedergegeben, streicht er mir noch fürsorglich mit Kamm und Haarwasser durch die Strähnen. Hier und da noch eine kleine Korrektur, der Nacken sauber ausrasiert — dann strahlt er über meine Zufriedenheit. Seit ich ihn kenne, ist der Gang zum Friseur kein Gang nach Canossa mehr. Für 16 Mark lasse ich mich gerne auch alle zwei Wochen coiffieren.

Ach ja: Ganz im Vertrauen, die Adresse meines osmanischen Hair- stylisten gebe ich natürlich nicht so einfach preis. Und in der taz schon gar nicht... Klaudia Brunst