Do you wanna be touched tonight?

■ »Welcome to your fantasy« — Die Male-Strip-Show »Chippendales« aus Los Angeles zeigt an der Jafféstraße, was Frauen gerne sehen

Ein Damenkegelklub aus Zelle übt noch eben das Pfeifen auf zwei Fingern, ein kleines Trüppchen amerikanischer Soldatenfrauen erinnert sich lautstark und mit viel Gelächter an alte Cheer- leader-Songs. Sonja und Maria stehen diesem bunten Treiben etwas unschlüssig und abgekämpft gegenüber, sie sind Arbeitskolleginnen und direkt nach dem Büro hierhergekommen. Die meisten aber finden die aufgekratzte Stimmung vor dem Euro- Palace-Zelt in der Jafféstraße einfach »super!«, und die Schuhverkäuferin Waltraud aus Friedrichshain wußte sowieso schon vorher, daß dieser Abend ein voller Erfolg werden wird. Deshalb hat sie auch gleich den gesamten weiblichen Teil ihrer Familie mobilisiert — gemeinsam mit Tochter, Schwiegertochter und Nichte will sie auf diesem Familienausflug heute »einmal Spaß ohne unsere Männer!«. Auch die unzähligen aufgekratzten Frauen neben ihnen, die in ihren dünnen Pumps ungeduldig frierend von einem Fuß auf den anderen wechseln, wollen vor allem »Spaß«, einen »lustigen Abend«, »mal was ganz anderes erleben«. Sie sind schon außer Rand und Band, lange bevor in der Muskel- und Tanz-Show der amerikanischen Male-Strip-Truppe »Chippendales« eine einzige Hülle gefallen ist; kichernd und gickelnd lassen sie sich von der freundlichen Dame des »Security-Service« in die Handtasche schauen, schieben sich dann weiter, vorbei an den beiden breitschultrigen Jungs, die die Karten abreißen und nebenbei ungeniert die Kurven der Zuschauerinnen begutachten.

Eine Flasche »Prosecco« zu 30 DM oder eine Runde Beck's Bier für den Erhalt der guten Stimmung, dann geht es hinein ins Hauptzelt, in dem die Stimmung schon kurz vor dem Siedepunkt ist. Besonders die vielen kasernierten Amerikanerinnen, die die Chippendales schon aus ihrer fernen Heimat kennen und für die dieser Abend in der Diaspora US-amerikanischer Unterhaltungskultur eine willkommen vertraute Abwechslung ist, johlen und kreischen, trampeln mit den Füßen — so ungeniert, daß mit der Zeit selbst die letzten irritiert dreinschauenden Berlinerinnen von dieser Ekstase angesteckt werden. Und als dann endlich die Show beginnt, der Off-Sprecher Do you wanna be rocked tonight? ruft, geht ein hysterisches Yeahh! durch die Reihen, steigert sich der Lärmpegel in Richtung Klirrfaktor, erzittert der Zeltboden von dem ohrenbetäubenden Fußgetrampel.

Von diesem Rausch der Begeisterung völlig unbeeindruckt tanzen auf der Bühne unter dem bunten Licht einer perfekten Lightshow sechzehn gutgebaute junge Männer, solargebräunt und hantelgestählt. Zu dem mitreißenden Discosound aus der gigantischen Beschallungsanlage entledigen sie sich in wechselnder Besetzung immer wieder langsam ihrer Hemden, Hosen und Unterhosen, stehen dann stolz da in einem kleinen Tütchen und lassen sich von ihren Fans bewundern. Der Saal tobt, während sich die Boys aus California in schwarzen Jeans kopulierend auf dem Boden wälzen, wenn ein langmähniger Recke aus seiner seidenen Boxershorts eine Zigarette fischt und sich nach dem choreographisch überdeutlich angedeuteten Orgasmus genüßlich eine Fluppe ansteckt.

Es sei vor allem die »provokative und professionelle Choreographie der Bühnenshow«, die die Chippendales zu ihrem weltweiten Erfolg gebracht habe, läßt der Tourneemanager wissen, und wirklich, der Broadway und Las-Vegas-erprobte Profi- Choreograph Steve Merritt hat sich nicht lumpen lassen: Seine Show ist hochprofessionell, auf die Sekunde getimt, tänzerisch anspruchsvoll. Am Ende jeder Szene läuft alles darauf hinaus, daß sich die schönen Beach-Boys, Pool-Spieler oder Seeadjutanten aus L.A. fast aller ihrer Hüllen entledigen — erst Hemd, dann Hose, dann Unterhose — und wenn es besonders wild kommt, stellt sich einer auch schon mal ganz ohne das letzte Seidentütchen unter die improvisierte Urwald-Dusche. Außer einem knackigen Po ist aber selbst dann nichts zu sehen, denn natürlich dreht sich der Adonis unter der Brause so geschickt hin und her, daß sein Allerheiligstes nur für die Backstage-Arbeiter zu sehen ist.

Die jungen Schönlinge, die sich da vor ihrem johlenden Publikum Abend für Abend produzieren, sich auf der erhabenen und fernen Bühne selbstverliebt in die Hose greifen, auf roten Satinbetten die Lenden reiben und immer wieder rhythmisch eindeutig das Becken nach vorne schieben, sind keine Objekte weiblicher Begierde. Selbst in der höchsten Ekstase, der aufreizendsten Szene, der eindeutigsten Pose haben sie die Sache mit dem Sex voll in der Hand. Rein gar nichts erinnert bei dem Programm der Chippendales an diese schlüpfrigen Discoveranstaltungen, bei denen sich die Stripper nach bekanntem Vorbild Hundertmarkscheine in den Slip stecken lassen müssen. »Antatschen« ist an der Jafféstraße streng verboten, der allgegenwärtige Security-Service hat die unbedingte Weisung, allzu zudringliche Girls wieder diskret auf ihre Sitzplätze zu geleiten.

Dafür haben die Herren auf der Bühne freie Auswahl, wenn die Show ihnen gelegentlich vorschreibt, herrisch von der Rampe zu springen, eine Frau auf die Bühne zu zerren, sie auf ein wackeliges Stühlchen zu postieren, ihr im grellen Scheinwerferlicht obszön den Busen zu reiben, sie anzugrabschen, zu besetzen, zu besitzen.

Ein blonder Recke, der fatal an den kühnen Siegfrid erinnert, fängt sich eine junge Amerikanerin in der ersten Reihe, verbringt sie mit mannhafter Geste auf die Bühne, legt sie auf den staubigen Boden. Dann bespringt er die junge Frau, die noch gar nicht recht bemerkt, was mit ihr geschieht — es hinterher aber »great« finden wird — ganz fachmännisch im Liegestütz. Unten im Publikum steigert sich jetzt der Lärmpegel endgültig in Bereiche jenseits der Schmerzgrenze, aber nicht etwa aus Entsetzen über die frauenfeindlichen Machenschaften auf der Bühne, die den dort oben stehenden Frauen kaum eine Möglichkeit lassen, sich nicht zum Objekt dieses Entertainments zu machen. Nein — die Frauen unten im Kreisrund des Zeltes klatschen begeistert, johlen und rufen »more, more, more«, weil sie diesen Abend für die Umkehrung ihrer alltäglichen Realität halten. Weil sie heute auch einmal »Spaß« haben wollten, Spaß an dieser letztlich doch arg verschämten Erotik, Spaß an diesen schönen stolzen Kerlen, einmal Spaß ohne ihre eigenen unscheinbaren Männer. — Ein Spaß um jeden Preis.

Am Ende der zweistündigen Chippendale-Show, wenn der Prosecco geleert, das Arbeitslicht im Zelt wieder angeschaltet ist, darf sich, wer will, noch eben schnell für 15 Mark neben seinem auserwählten Lieblingshelden fotografieren lassen. Dann — es bereits ist nach Mitternacht — ist der funny trip in diese andere Welt endgültig vorüber. Draußen vor dem Zelt stehen bereits die Ehemänner, Freunde und Väter, um ihre Frauen, Freundinnen und Töchter abzuholen, sie heimzufahren und weiterzubesitzen. Yeah! Klaudia Brunst

Chippendales — Malestrip noch morgen und übermorgen um 20 Uhr im Euro-Palace-Zelt an der Jafféstraße