Berlin gewährt kein »bleib recht für alle«

■ Nach einem fünfmonatigem Kampf für ein Bleiberecht in Berlin wurde die Gruppe der Besetzer in der TU in Gewinner und Verlierer gespalten: 16 der ehemals über 100 Flüchtlinge dürfen bleiben, alle übrigen werden nach Brandenburg verteilt

Charlottenburg. Die Transparente liegen zusammengeknüllt in der Ecke. An der Toilettentür hat sich die Forderung nach »bleib recht für alle« verewigt, mit ungelenker Hand dahingekritzelt. Loretta aus Rumänien räumt ihre Sachen in der dritten Etage des Mathematikgebäudes der Technischen Universität zusammen. Auch ihr Gesang kann nicht über ihre Traurigkeit hinwegtäuschen. Sie ist die letzte von über einhundert Flüchtlingen, die hier über fünf Monate zusammen gewohnt haben. Nur noch einmal werden sie hier zusammenkommen — zum Aufräumen.

Seit vergangenem November hatten die Flüchtlinge an der Seite ihrer Unterstützer des »Antirassistischen Zentrums« für ein Bleiberecht gekämpft. Mit der Besetzung wollten die »Doppelflüchtlinge«, die aus ihrer Heimat nach Deutschland und von Hoyerswerda nach Berlin geflohen waren, einen Stellvertreterkampf für alle Flüchtlinge in der Bundesrepublik führen. Gegen Zwangsverteilung, für eine freie Wahl des Aufenthaltsrechts für alle.

Nach der Besetzung der Seminarräume gingen sie mit aufsehenerregenden Aktionen an die Öffentlichkeit. Sie besetzten die CDU-Geschäftsstelle, die Landesparteizentrale der SPD, das Rote Rathaus. Mit der Kraft der Flüchtlinge nahm nach einigen Monaten auch der Medienwirbel ab. Während die Lage der über hundert Menschen in elf Räumen sich immer desolater gestaltete, wurde es stiller um sie. Alle Versuche der TU-Leitung, Innensenator Dieter Heckelmann (CDU-nah) zu einer humanitären Lösung für die Flüchtlinge zu bewegen, scheiterten. Eine Gruppenlösung werde es nicht geben; jeder Einzelantrag solle aber geprüft werden, teilte Heckelmann vor dem Ausländerausschuß mit. Und zur TU-Leitung: »Mit Ihnen verhandle ich nicht.«

Anfang März gaben vierzig Flüchtlinge die Besetzung auf. Nach Verhandlungen mit der Kirche, dem Flüchtlingsrat und dem Land Brandenburg zogen sie nach Brandenburg um. Die übrigen siebzig wollten weiterkämpfen. Um »zu zeigen, daß wir verhandlungsbereit sind«, wie ein Kurde damals sagte, stellten sie die von Heckelmann geforderten Einzelanträge. Ihre Hoffnung, nach Vorlage der Anträge als Gruppe in Berlin bleiben zu dürfen, erfüllte sich nicht. Sechzehn der siebzig Flüchtlinge würden in Berlin legalisiert, teilte die Innenverwaltung am 1. April mit. Alle übrigen werden in diesen Tagen nach Brandenburg verteilt. Der Entscheid machte aus einer zwei Gruppen: Sieger und Verlierer eines fünfmonatigen Kampfes. Die Besetzung löste sich auf.

David aus Ghana ist einer der sechzehn Gewinner. Er konnte nachweisen, daß er im vergangenen Jahr in einem Heim auf Rügen von Skinheads verprügelt wurde, ohne daß die Polizei eingegriffen hätte. Vermutlich darf er deshalb bleiben. »Aber die Angst ist bei uns allen dieselbe«, erzählt er, »ob wir verletzt wurden oder nicht.« Er wirft der Regierung vor, die Gruppe gespalten zu haben. »Wir alle haben für die gleichen Rechte gekämpft.« David glaubt nicht, daß die Gruppe in Kontakt bleiben werde. »Wir sind alle müde, nach langem Kampf ging nichts mehr weiter.«

Das Antirassistische Zentrum will die Flüchtlinge weiter unterstützen. Es gelte, »dem staatlichen Rassismus und dem faschistischen Terror auf den Straßen etwas entgegenzusetzen«, sagt eine. Die Zwangsverteilungen gingen ebenso weiter wie Übergriffe. Doch auch sie sind geknickt. »Wir haben es nicht geschafft zu verhindern, daß das Thema Rassismus so langsam wieder vom Tisch kommt.« Weder die Parteien noch die »sogenannten Flüchtlingsexperten« im Flüchtlingsrat oder in der Kirche seien ernsthaft bereit gewesen, die Flüchtlinge zu unterstützen. Lediglich die TU-Leitung habe sich mit ihren Forderungen auseinandergesetzt.

Mit gemischten Gefühlen beobachtete TU-Vizepräsident Wolfgang Neef, der bis zum Schluß die Verhandlungen mit der Senatskanzlei sowie dem Landessozialamt führte, den Auszug der Flüchtlinge. »Die zuständigen Senatsverwaltungen für Inneres und Soziales haben sich bis zur letzten Minute einer Lösung verweigert«, so Neef. Von den Bemühungen einzelner Personen abgesehen, »haben wir nur Enttäuschungen erlebt«. »Sehr zufrieden« äußerte sich Neef darüber, daß die Berliner Besetzung, anders als die in Norderstedt, in gegenseitigem Einvernehmen zu Ende gegangen sei. »So ist vielleicht politisch noch etwas übriggeblieben.« Jeannette Goddar