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INTERVIEW„Thatcher hat den öffentlichen Sektor völlig demoralisiert“

■ In Großbritannien und Irland ist Kinderbetreuung Sache der Eltern/ Labour verspricht mehr Geld/ Interview mit Robbie Gilligan

Robbie Gilligan, 37, ist Dozent für Sozialarbeit am Trinity College, Dublin. Er war Vorsitzender des Europarat-Ausschusses „Youth at Risk“, dessen Abschlußbericht 1990 veröffentlicht wurde. Im vergangenen Jahr erschien sein Buch „Child Care Services in Ireland“.

taz: Wie ist die Kinderbetreuung in Großbritannien und Irland geregelt? Kümmert sich der Staat darum?

Robbie Gilligan: Für die Kinderbetreuung gilt dasselbe, was auch für andere Bereiche gilt: Die Torys erlassen zwar Bestimmungen, ziehen die staatliche Vorsorge aber ansonsten immer mehr zurück. So werden die BetreuerInnen zwar von den Bezirksverwaltungen überprüft, die Ausbildung läßt jedoch sehr zu wünschen übrig. Die niedrigen Einkommensschichten haben jedoch keine Wahlmöglichkeiten. Für die Kinderbetreuung sind auch noch zwei verschiedene Verwaltungen zuständig, und beide behandeln sie als Stiefkind: So fällt die Vorschule zum Beispiel unter Bildung, die Tagesbetreuung dagegen in den Bereich Sozialdienste. In Irland ist es noch viel schlimmer. Dort hält sich der Staat völlig heraus, die Organisation der Kinderbetreuung ist ganz allein Sache der Eltern.

Von Chancengleichheit für Frauen kann also nicht die Rede sein?

Nein, und das entspricht ja Thatchers Ideologie: In der Idealfamilie geht der Mann arbeiten, und die Frau bleibt zu Hause. Der Thatcherismus hat den öffentlichen Sektor völlig demoralisiert. Er ist stark in die Defensive gedrängt worden.

Spielt Kinderbetreuung im Rahmen der Arbeitsmarktpolitik eine Rolle?

Kaum. Natürlich gibt es Firmen, zum Beispiel einige Banken, die ihre weiblichen Arbeitskräfte auch nach der Geburt eines Kindes gerne behalten wollen und sich das etwas kosten lassen. Doch angesichts der hohen Arbeitslosigkeit haben die meisten Arbeitgeber das gar nicht nötig. Es ist in Vergessenheit geraten, daß britische Frauen während des Zweiten Weltkriegs in allen Wirtschaftsbereichen gearbeitet haben. Damals wurde für die Kinderbetreuung in großem Maßstab gesorgt. Nach dem Krieg ist das dann Schritt für Schritt abgebaut worden. Das zeigt, daß sich etwas bewegen kann, wenn es im Interesse der Wirtschaft liegt. Das Interesse der Frauen ist dem immer untergeordnet. Das liegt auch daran, daß in Großbritannien Männer die Politik viel stärker als in anderen europäischen Ländern dominieren.

Was müßte sich ändern?

Wenn man schon — wie in Großbritannien — bei der Kinderbetreuung die Gesetze der freien Marktwirtschaft anwendet, muß man zumindest ein paar soziale Sicherungen einführen und dafür sorgen, daß die Eltern über ausreichend Informationen verfügen, daß eine Qualitätskontrolle stattfindet, und daß es einen Wettbewerb gibt. Denn es ist ja kein „klassischer Markt“, unter anderem spielen Geld und Entfernung eine große Rolle. Der freie Markt jedoch führt dazu, daß die Armen auch hier mit schlechterer Qualität abgespeist werden.

Wird sich die Situation verbessern, wenn die Labour Party morgen die britischen Parlamentswahlen gewinnt?

Das ist möglich. Zum einen sind Frauen in der Labour Party viel stärker vertreten als bei den Torys, zum anderen wären Verbesserungen bei der Kinderbetreuung eine Geste, die vergleichsweise wenig kosten würde. Im Labour-Wahlprogramm heißt es, daß Kinderbetreuung von der Steuer absetzbar sein soll, was bisher nicht der Fall ist. Darüber hinaus will Labour die Bezirksverwaltungen stärken, sie mit mehr Geld und damit auch mit mehr Macht ausstatten. Und das alleine würde schon Auswirkungen haben. Interview: Ralf Sotscheck

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