Zu Ehren des Vaterlandes

Chinas Militär hat sich den Geist des Kapitalismus zu eigen gemacht  ■ AUS PEKING HANS VRIENS

Es zählt zu den renommiertesten Hotels im ganzen Land, hochgezogen in Form und Farben der historischen Stadttore Pekings. Und wie aus natürlicher Autorität überragt es seine Umgebung aus alten Einfamilienhäuschen um 18 Stockwerke: das Palast-Hotel — nur wenige Schritte von der Verbotenen Stadt entfernt.

Manager der Nobelbleibe ist der Niederländer Han Brouwers, im Auftrag der Hongkonger Peninsula Hotel Group. Er hat, wie er sagt, seine 16 Jahre Berufserfahrung in Diensten der Firma Intercontinental gesammelt — in insgesamt 12 Fünf- Sterne-Häusern weltweit. Trotz dieser reichen Erfahrung sah er sich bei seiner Ankunft in Peking im Mai 1990 mit einer völlig unerwarteten Situation konfrontiert: Alle drei stellvertretenden Direktoren des Palast-Hotels, so stellte sich heraus, waren Offiziere der chinesischen Volksbefreiungsarmee.

Der Hotelfachmann mußte feststellen, daß es sich beim Palast-Hotel um ein Joint-venture handelt; 50 Prozent gehören dem Generalstab der chinesischen Streitkräfte. So kostete es den eher nüchtern kalkulierenden Holländer einige Überwindung, gleich zu Beginn einer Delegation des Stabes zu erklären, die Zimmerpreise seien mit 111 US-Dollar viel zu hoch angesetzt — in einer Zeit, wo alle anderen Hotels mangels ausländischer Kunden ihre Zimmer zum Schleuderpreis von 35 Dollar anboten. „Der Generalstab betrachtete von Anfang an das Hotel als seine Kantine, als Offiziersmesse“, erzählt der neue Chef. „Und so ließen sich die Herren Direktoren nicht nehmen, mit sätmlichen 70 Angestellten in den Räumen des Hotels das chinesische Neujahr zu feiern.“

Socherlei Erfahrungen mit der chinesischen Volksarmee macht auch seine deutsche Gattin, die der Vertretung von Daimler-Benz in der Volksrepublik vorsteht. Der deutsche Automobilriese unterzeichnete 1988 ein Joint-venture mit „North China Industries Corp.“ (Norinco), einem der wichtigsten Waffenproduzenten des Landes. Seither montiert Norinco in den Hallen seiner größten Panzerfabrik, in Baotou in der inneren Mongolei, Lastwagen und Autobusse in Lizenz für Mercedes-Benz.

Klaviere aus der Waffenfabrik

Der Waffenproduzent Norinco gehört mit seinen 750.000 Arbeitskräften, verteilt über 157 Fabriken und 50 Handelsorganisationen im ganzen Land, zu den größten Mischkonzernen der Volksrepublik. Seine neueste, etwa hundert Seiten umfassende Farbbroschüre zeigt eine breite Palette ziviler Produkte, die Norinco weltweit zu vertreiben versucht — von Klavieren über in China produzierte Honda-Mopeds bis hin zu Daihatsu-Kleinbussen.

Trotz der Tatsache, daß das zivile Produktangebot mittlerweile 65 Prozent der Gesamtproduktion ausmacht, ist der Export waffentechnischen Materials Norincos wichtigstes kommerzielles Standbein geblieben. „Norinco stellt bestimmte Maschinengewehr-Modelle ausschließlich für den Export her“, erklärt der Militärattaché eines westlichen Landes in der chinesischen Hauptstadt. „Es handelt sich um Kopien amerikanischer Gewehre, die für den halben Preis auf den Markt geworfen werden. Und auch die besten Panzer, die Norinco herstellt, sind ausschließlich für ausländische Kunden bestimmt, wie beispielsweise den Iran, Birma und Thailand.“

Der Drang nach Modernisierung der mit 3,2 Millionen Soldaten größten Armee der Welt erhielt mit dem Golfkrieg einen neuen Schub. „Der Sieg der US-amerikanischen Armee hat die chinesische Armeeführung wirklich schockiert“, meint Professor Lee Ngok von der Universität Hongkong, ein Experte auf dem Gebiet des militärisch-industriellen Komplexes Chinas. „Seit dem Ende des Golfkrieges lamentieren die Generäle denn auch bei jeder Gelegenheit über die Anschaffung neuer High-Tech-Systeme. Dabei haben sie nur ein Problem: Es fehlt ihnen das Geld.“

Aber es gibt einen Ausweg aus diesem Dilemma. Professor Lee: „Es gibt für die chinesischen Militärs nur einen Weg, sich das Geld für moderne Waffensysteme zu beschaffen: Sie müssen mehr exportieren. Aus diesem Grunde hat sich die Armeeführung vorgenommen, die Produktion ihrer schätzungsweise 50.000 Waffenschmieden bis 1999 zu 80 Prozent auf zivile Produktion umzustellen. Und die beste Garantie dafür, daß ihre Produkte auch die erforderliche Qualität erreichen, bieten eben solche Joint-venture-Verträge mit renommierten ausländischen Konzernen.“

Marmor und Springbrunnen

Ihren Anfang nahmen diese Entwicklungen im Jahre 1979. Damals ordnete Chinas mächtigster Mann Deng Xiaoping als Baustein seines wirtschaftlichen Reformprogramms an, daß sich die Waffenschmieden des Landes auf die Produktion dringend benötigter Konsumgüter konzentrieren sollten. Begonnen wurde ganz bescheiden mit der Herstellung von einfachen Taschenlampen und Fahrrädern. Gut zehn Jahre später rollten die Hälfte aller in China zusammengebauten Motorräder und mehr als ein Drittel der Kleinbusse aus den ehemals militärischen Produktionsanlagen.

Das Sortiment dauerhafter Konsumgüter reicht heutzutage von Kühlschränken über Waschmaschinen und Lampen bis zu Fernsehgeräten. Sogar der Abschuß von Raketen, die Satelliten in die Erdumlaufbahn bringen, ist in China zum Geschäft geworden: Merklich preiswerter als bei der US-amerikanischen und europäischen Konkurrenz können ausländische Satelliten von chinesischen Raketen ins All transportiert werden.

Die Beteiligung an Joint-venture- Hotels für ausländische Gäste schien der Armee zu Beginn der achtziger Jahre lukrativste Einnahmequelle zu sein. Diese Art unternehmerischer Tätigkeit erforderte kaum Investitionen und versprach Devisen. Die Armee brachte lediglich die Baufläche ein — wie auch im Falle des Palast- Hotels. In manchen Fällen beteiligten sich die Soldaten sogar am Bau der Hotelanlagen. Diese Prestigeobjekte verfügen neben den obligatorischen Springbrunnen in der marmornen Lobby natürlich über die besten Empfangszimmer, die sich ein General für seine Gäste nur wünschen kann. So überrascht es nicht, daß an mindestens zehn internationalen Hotels in ganz China die Militärs beteiligt sind oder, wie im Fall des Kun- Lun-Hotels in Peking, der chinesische Staatssicherheitsdienst. „Im Kun Lun lungern so viele Staatsschützer herum, daß es lange Zeit als das sicherste Hotel der Stadt galt“, frotzelt ein langjähriger Besucher.

Auch Norinco reagiert flexibel auf die Chancen, die der Markt bietet. 40 Kilometer nordwestlich von Peking hat der Waffenproduzent zivilen Interessenten seinen Schießplatz zugänglich gemacht und bietet jedem Touristen, der nur will und in harter Währung bezahlt, die Möglichkeit, das komplette Norinco- Waffensortiment nach Herzenslust auszuprobieren. Und nicht nur das: Ganz besonders draufgängerischen Kunden stellt die Firma auch schwerere Geschütze zur Verfügung; ein niederländischer Geschäftsmann erzählt mit leuchtenden Augen von seinen praktischen Erfahrungen an Luftabwehrgeschossen auf Norincos sogenanntem Rambo-Schießplatz, wo er die umliegenden Berge unter Beschuß nehmen durfte.

Inzwischen aber ist auch so manchem militärischen Hersteller die Produktion ziviler Güter zum Alptraum geworden. Denn die chinesischen Kunden wollen die Waschmaschinen und Fernseher nicht mehr. „Wenn man heute die Wahl hat zwischen einer Waschmaschine aus chinesischer Fertigung (vielleicht gar auf der Grundlage sowjetischer Technologie aus den fünfziger Jahren) und einem japanischen Produkt, dann fällt doch die Entscheidung leicht“, erklärt die Angestellte eines Joint-venture, die im Vergleich mit ihren Kolleginnen und Kollegen in staatlichen Betrieben etwa das Doppelte verdient.

Die Lager einer ganzen Reihe von Waffenfabriken sind heute bis unters Dach mit unverkäuflicher Ware gefüllt — im Wert von schätzungsweise zehn Milliarden US-Dollar. Nach den Worten des chinesischen Vize- Ministerpräsidenten Zhu Rongji liegt der Anteil der Waffenschmieden an den Staatsbetrieben, die heute rote Zahlen schreiben, bei rund 30 Prozent. Bislang hat sich die Regierung geweigert, die ruinösen Betriebe dichtzumachen — nicht zuletzt aus Furcht vor Arbeiterunruhen. Das gilt jedoch auch für die zivilen Staatsbetriebe. Außerdem hat sich die Pekinger Führung seit der Niederschlagung der Demokratiebewegung im Frühling 1989 gegenüber dem Militär erkenntlich zeigen wollen — in Form einer jährlichen Budgetsteigerung um satte 12 Prozent.

Aber auch die Beteiligung an Joint-venture-Hotels hat bislang nicht die Früchte eingetragen, die sich die Armeeführung erhofft hatte. Es wurden in China in nur wenigen Jahren viel zu viele solcher internationalen Renommierhotels gebaut. In Peking tobt mittlerweile ein Preiskrieg, die Belegquote vieler Hotels liegt nicht selten unter 30 Prozent.

Wohl aus weiser Voraussicht hat die Armee vor einigen Jahren damit begonnen, die im Ausland erzielten Gewinne im kapitalistischen Hongkong anzulegen. Namentlich der lukrative Immobiliensektor in der Kronkolonie erfreute sich von Anfang an großer Beliebtheit bei den chinesischen Generälen. Womöglich die aufsehenerregendste und zugleich eine der wenigen bekanntgewordenen Auslandsinvestitionen Norincos ist die Mehrheitsbeteiligung des Waffenhändlers an dem privaten Autobusunternehmen Citybus in Hongkong, vermittelt über seine Tochterfirma City International Development.

Das Geld für solche Aktien stammt aus der erfolgreichen Ausfuhr chinesischer Waffen. Der erste Golfkrieg zwischen Iran und Irak, anläßlich dessen China mit beiden Seiten Geschäfte machte, kam da wie ein Geschenk vom Himmel. Um aus diesen wirtschaftlichen Aktivitäten das Optimale herauszuholen, gründete man eine große Anzahl von Handelsfirmen. Die bekannteste unter ihnen ist die 1984 gegründete Poly Technologies, die unter direkter Kontrolle des Generalstabs der chinesischen Streitkräfte steht. Und da ein respektables Image ja durchaus von Vorteil sein kann, machte man Poly Technologies kurzerhand zur Pro-forma-Tochter von China Trust & Investment Co (CITIC) — das bekannteste und angesehenste chinesische Investitionsunternehmen, das unter anderem wichtige Aktien hält in Hongkong, beispielsweise an der Fluggesellschaft Cathay Pacific.

Waffendeals außer Kontrolle

Poly Technologies residiert in einem modernen Büro im 17. Stock des CITIC-Hauptquartiers in Peking. Es gehört zu den mächtigsten Waffenschiebern Chinas. Daneben aber lautet der Auftrag, sich modernster militärischer und Kommunikationstechnologien zu bemächtigen. Auf beiden Gebieten ist die Firma bislang äußerst erfolgreich gewesen.

Polys Macht geht so weit, daß offenbar nicht einmal das chinesische Außenministerium ein Wort mitzureden hat, wenn es um Waffentransaktionen geht. „Genau das ist ja auch ein ganz wesentlicher Unterschied zur Situation im westlichen Ausland, wo Waffenexporte ein Teil der Außen- und Wirtschaftspolitik sind. China dagegen verkauft Waffen einzig und allein mit dem Ziel, soviel Geld wie möglich heranzuschaffen“, erklärt der Militärattaché aus dem Westen.

Die nahezu uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit von Poly Technologies basiert auf privaten Beziehungen. Nicht wenige ihrer Direktoren sind Sprößlinge oder zumindest Familienangehörige der höchsten Führer des Landes. Es ist dieses Beziehungsgeflecht, das Poly Technologies nahezu immun macht. Und so scheinen denn auch die Vorwürfe, die das Pentagon dem chinesischen Außenministerium wegen der Lieferung strategischer M-11-Raketen an Pakistan sowie der geplanten Verschiffung von M-9-Raketen nach Syrien jüngst machte, ihr Ziel gründlich verfehlt zu haben; eigentliche Adressaten wären wohl eher Poly Technologies oder seine Paten.

Trotz dieser aufsehenerregenden Lieferungen erfreuen sich chinesische Waffen inzwischen nicht mehr unbedingt solch großer Beliebtheit. Die traditionellen Abnehmer können entweder nicht mehr zahlen oder weichen auf günstige Angebote aus der GUS aus. Der Verkauf eines kleinen Atomreaktors nach Algerien, die Übertragung nukleartechnologischen Know-hows an den Iran sowie ein Abkommen mit Pakistan für den Bau eines kompletten 300-Megawatt-Atomreaktors im Wert von 500 Millionen Dollar gilt hingegen offiziell als Export von Projekten für die friedliche Nutzung von Atomenergie.

Internationales Firmengeflecht

Einzig möglicher Weg, die rückläufige Tendenz beim Export militärischen Geräts und die rapide wachsenden Verluste bei der Herstellung ziviler Produkte zu stoppen, ist eine drastische Beschleunigung der Einfuhr ausländischer Technologien. Realisieren läßt sich das einerseits durch Kooperationen wie mit dem Weltkonzern Philips: Der eröffnete im November 1990 in Nanjing ein Joint-venture, wo das niederländische Unternehmen zusammen mit dem ursprünglich militärischen Elektronikkonzern Huadong heute jährlich 1,6 Millionen Bildröhren für Farbfernseher herstellt. „Unmittelbar neben der neuen Fertigungshalle stehen die alten Anlagen von Huadong, wo früher unterirdisch, hinter schweren Stahltüren verborgen, militärisches Radargerät zusammengebastelt wurde“, erzählt ein Besucher, der sich per Zufall mal in die Kellerräume verirrt hatte.

Zukunftsträchtig scheint auch die internationale Zusammenarbeit auf militärischem Gebiet, wie seit längerem mit Israel. Nach Informationen der US-amerikanischen Fernsehstation NBC hat China durch seine „Annäherung“ an Israel neben Radartechnologie auch schon eine Patriot- Rakete in die Hände bekommen.

Es ist schon eine paradoxe Doppelrolle, die die chinesischen Befreiungsarmisten spielen. Auf der einen Seite sind sie die Garanten der alten kommunistischen Ordnung, auf der anderen Seite zählen sie zu den experimentierfreudigsten Wirtschaftsreformern Chinas — die nur reüssieren können, wenn sie mit ausländischen Multinationals zusammenarbeiten. Der US-amerikanische Sinologe Patrick Powers III kann dies nur bestätigen: „Ihre Handelsorganisationen sind die besten im ganzen Land. Ausnahmslos versuchen sie alle, soviel Geld zu verdienen wie nur irgend möglich. Und das paßt zum Geist, der den wirtschaftlichen Reformprozeß in China derzeit beflügelt. It's all straight business.“