Über die Mühen der Legalität

Die Guerilla in El Salvador findet sich heute, über zwei Monate nach dem Friedensabkommen, nur schwer zurecht/ Regierungspropaganda schiebt alle nun auftretenden Probleme auf die FMLN/ Ungewisse Zukunft der Ex-Guerilleros  ■ Aus San Salvador R. Leonhard

Im Schatten eines mächtigen Baumes sitzen etwa zwanzig Guerilleros auf ihren Schulbänken und blicken angestrengt auf die junge Lehrerin, die die Lektion auf eine riesige Schiefertafel geschrieben hat: „Pa-pa, Pe-pe, Pi-pi, Po-po...“ Hundert Meter entfernt ist eine Gruppe von Fortgeschrittenen mit ernsteren Problemen befaßt: der Fortpflanzung der Lippenblütler.

Die Gewehre stehen an einen Baum gelehnt oder hängen an einem Ast. Sie wurden zuletzt vor über zwei Monaten eingesetzt, als die Armee noch einmal in das traditionell von der FMLN kontrollierte Gebiet vorrückte. Kurz darauf, am ersten Februar, trat dann der Waffenstillstand in Kraft. Nach dem Abkommen wurden die Regierungssoldaten in 62 Posten und Kasernen verbracht, die Guerilla in 15 große Lager.

Eines dieser Lager liegt 80 Kilometer nördlich von San Salvador hinter einem abgeflachten Bergrücken in Chalatenango, den die Bevölkerung als Ebene des Apfelbaums kennt. Dulce Nombre de Maria, die nächste Ortschaft, liegt zwei Stunden Gewaltmarsch bergab. Drei Kolonnen— oder 303 Mann — der Fuerzas Populares de Liberacion (FPL), der größten der fünf FMLN-Organisationen, sind hier nun bereits eingetroffen.

Was aus der Entfernung wie ein Campingplatz aussieht, ist der Stützpunkt der ONUSAL, der militärischen Beobachtergruppe der Vereinten Nationen. Sie ist dort mit sieben Offizieren aus Spanien, Venezuela und Ecuador vertreten. Von den Guerilleros hingegen hat kaum einer ein Zelt. Die meisten schlafen in Hängematten oder auf dem nackten Boden, obwohl sich die Regenzeit bereits mit vereinzelten Gewittern ankündigt.

„Immerhin haben wir vor einer Woche die erste Lebensmittellieferung bekommen“, erzählt Amilcar, der die ersten Kolonne leitet, „ allerdings nicht alles, was uns versprochen wurde“. Zu Mittag gibt es trockenen Reis mit Maistortillas. Mais und Öl kommen aus Kanada, der Reis, wie an den Säcken mit den blau- weißen Stars and Stripes unschwer zu erkennen ist, aus den USA.

Schwierige Versorgung

„Das machen die absichtlich, um uns zu demütigen“, vermutet die Koordinatorin einer Finanzierungsorganisation der FMLN. Auch die japanischen Sardinendosen kommen nicht gut an. „Wir sind es nicht gewohnt, aus Konserven zu essen“, meint Amilcar, „wir hätten lieber Fleisch oder Eier“.

Die Versorgung der Guerilleros bis zum Ende der Übergangsphase am 31. Oktober ist im Friedensabkommen nicht geregelt und wurde schließlich von der Europäischen Gemeinschaft übernommen. Für die Nahrungsmittelhilfe hat sie die Caritas eingeschaltet, für die Gesundheitsversorgung die Organisation Médecins sans Frontieres. Bis vor kurzem mußten die FMLN-Kämpfer von ihren letzten Reserven oder von Spenden der Bevölkerung leben, schließlich können sie keine Kriegssteuern mehr erheben.

Die Verzögerung bei der Versorgung sei auf bewußte Verschleppungstaktik der Regierung zurückzuführen, meint Francisco Jovel, alias Roberto Roca, einer der fünf obersten Comandantes. Aufgrund des eintönigen Lagerlebens und der schlechten Versorgungslage sind denn auch einige bereits desertiert. Viele Guerilleros wollen es nicht einsehen, daß sie jetzt noch im Verband bleiben müssen, um während der entscheidenden Monate, in denen das Friedensabkommen umgesetzt wird, noch für Druck zu sorgen. Erst im Mai kann die FMLN die ersten Kämpfer zur Aufnahmeprüfung auf die neue Polizeiakademie schicken und gleichzeitig die ersten zwanzig Prozent der Truppen ins Zivilleben entlassen. Alphabetisierung und Fortbildungskurse im Lager sollen sie auf die Zukunft im Zivilleben vorbereiten.

Wie diese Zukunft aussehen wird, ist ungewisser, als es noch vor zwei Monaten den Anschein hatte. In den endlosen Sitzungen der verschiedenen Kommissionen, die mit dem Friedensvertrag geschaffen wurden, werden die Comandantes aufgerieben — während die wenigen Organisatoren, die Erfahrung mit dem Leben in der Legalität haben, unter der Last der Arbeit zusammenzubrechen drohen.

Das sozialdemokratische Rechtshilfeinstitut IEJES attackierte kürzlich in einem Zeitungskommentar die Comandantes, die nur mehr an die Wahlen 1994 denken und sich in den Medien als „nice guys“ zu verkaufen suchen. Es wäre ein fataler Fehler, jetzt das Volk zu vergessen, das den Verhandlungserfolg möglich gemacht hat: „Laßt uns nicht vergessen, daß die Rechte gut organisiert, mit genügend Geld ausgestattet, gut beraten, und vor allem äußerst erfahren ist“.

Die Regierung hat längst begonnen, das Verhandlungsergebnis als ihre Leistung zu verkaufen und alle Probleme auf dem Land den Landbesetzungen durch die FMLN-nahen Bauernorganisationen zuzuschieben. Die Militärs ziehen durch die Dörfer und verschenken Lebensmittel und wenn sie einem gelähmten Kind einen Rollstuhl schenken, wird das für die von der Oligarchie beherrschte Presse zum Medienereignis.

Das Konzertierungsforum der wirtschaftlichen Kräfte, das längst tagen sollte, um die dringendsten ökonomischen Weichenstellungen zu debattieren, konnte bisher noch nicht zusammentreten, weil der Unternehmerverband ANEP die Gespräche boykottiert. Den Wiederaufbauplan, den die Regierung Ende März der Weltbank in Washington vorlegte, hatten vorher weder die Parteien, noch die FMLN zu Gesicht bekommen.

Auch die versprochene Entmilitarisierung lief nicht so wie versprochen: Zwar wurden die berüchtigte Policia de Hacienda und die Nationalgarde Anfang März aufgelöst und der Armee eingegliedert, doch verwandelten sie sich ipso facto in Militärpolizei und Grenzschutztruppen, die in ihren alten Stellungen verblieben. Darauf drohte die FMLN, sie werde ihre Sammlung in den den 15 Lagern herauszögern. Erst der Besuch des neuen UN-Beauftragten Marrack Goulding Mitte März konnte die Situation entspannen. Während Präsident Cristiani versprechen mußte, die ehemaligen Sicherheitskräfte in die für die Armee vorgesehenen Kasernen zu verlegen, versicherten die FMLN- Kommandanten, sie würden den Zeitplan nicht durcheinanderbringen. Nach der dreitägigen Visite wurden auch bedrohliche Flüge über den Guerillazonen eingestellt und die Nahrungsmittellieferungen kamen ins Rollen.

Für das sprunghafte Ansteigen der Gewaltkriminalität im Umkreis der Kasernen, für die Einschüchterung von Aktivisten der Linken vor allem in der Provinz ebenso wie für mysteriöse Morde im Stil der Todesschwadrone erklären sich die Militärs nicht zuständig. „Unsere Leute sind alle kaserniert“, beteuert General Orlando Zepeda. Im Lager im nördlichen Chalatenango wird den Guerilleros daher bereits eine Lektion in Realismus erteilt. „Der Krieg ist vorbei“, erklärt Carlos, der Kommandant der 3. Kolonne, seinen Leuten: „jetzt beginnt der schmutzige Krieg“.