Eisenhowers Kinder

■ »The Beat Generation — An American Dream« von Janet Forman und »Poetry in Motion« von Ron Mann im Checkpoint Baby

»Nein, hör jetzt zu, Du hättest vollkommene Freiheit, einen großartigen Platz zum Schreiben, einen Wagen zum Rumfahren, die Befriedigung, mir zu helfen, wenn ich es am nötigsten brauche. Keine Sorgen, wunderbare Bücher zum Lesen, Musik zum Anhören, das Leben wie eine Filmvorführung [...]«

(Neal Cassady in einem Brief

an Jack Kerouac)

Neunzehnhunderteinundfünfzig. Ein Brief aus einer Zeit, als das Wort »Aussteigen« sich noch allein auf Busse und Bahnen bezog. In den paar Zeilen steht alles, was »Beat« ausmachte: Freiheit, Schreiben, Rumfahren, Freunde, Bücher, Musik, Film. Kerouacs On the Road wurde 1957 verlegt, vier Jahre zuvor war das Team Eisenhower/Nixon ins weiße Haus eingezogen. Höchste, allerhöchste Zeit für die »Beat Generation«.

Begonnen hatte alles viel früher. Allen Ginsberg und Kerouac trafen sich bereits Mitte der Vierziger als Studenten. Nach dem Krieg verschwanden sie unter den Fittichen von Herbert Huncke, der später der »Godfather« der Beats genannt wurde, trafen William Burroughs und viele andere, und tauchten wieder auf als die bekanntesten literarischen Exponenten dieser, der »geschlagenen« Generation. Denn nicht mehr sollte »beat« bedeuten. Eine Generation, deren Familien durch den Weltkrieg und die gesellschaftlichen Umstände zerbrochen waren. Deshalb gingen sie on the road, redeten und gestikulierten sich durch versoffene Nächte, hörten den schwarzen, den aufregenden Jazz, und nahmen sich alles, was sie wollten und kriegen konnten.

Sie begannen zu schreiben, Kerouac, Ginsberg, David Amram, Gregory Corso, Ray Bremser, und wie sie alle hießen. Sie schrieben Gedichte und Romane gleich auf Telexpapier, damit der Strom der Gedanken nicht beim Umblättern plötzlich versiegt. Sie wollten schreiben, wie die Schwarzen spielten, die Worte sollten grooven. Sie schmissen alle Sorten Drogen ein, um den ersten flüchtigen Gedanken, der immer der beste ist, fassen zu können — so wie sie es von Bill Burroughs gelernt hatten. Vor allem schrieben sie, während Neal Cassady, der Dean Moriarty aus On the Road, scheinbar stellvertretend für sie alle lebte.

Ende der Fünfziger dann der allmähliche Niedergang. 1959, als Gast in der Steve Allen Show, antwortete Kerouac auf die Frage, was das Wort »beat« für ihn bedeute: »Sympathisch«. Das wollten die Beatniks nun sicherlich nicht sein. Es entstand eine andere, zweite Generation, die die von den Medien verbreitete Romantik des Beatnikdaseins aufnahmen, aber bloß noch eine Karikatur ablieferten. 1967 dann brachte Kerouac The Vanity of Duluoz heraus, in dem er sich, schon längst alkoholkrank, von seiner Jugend distanziert und zurückfindet zu einem angepaßten Weltbild. 1968 stirbt Neal Cassady, 1969 Jack Kerouac. Schnitt.

Janet Forman versucht, das Bild dieser Bewegung zu zeichnen, die die erste moderne Jugendrevolte war. Ihr 1987 entstandener Film heißt The Beat Generation — An American Dream, weil die Beatniks, indem sie den verlorenen Respekt vor dem Individuum beklagten, weiterhin an den amerikanischen Traum glaubten. Durch den Film führt als Erzähler derselbe Steve Allen, in dessen Show Kerouac die Beat Generation mit seinen Äußerungen entzauberte.

Janet Formans Herangehensweise gilt den Beats als Bewegung. Alle kommen zu Wort, der Polit-Aktivist Abbie Hoffman genauso wie natürlich Allen Ginsberg, der zugleich Katalysator als auch Theoretiker des Ganzen war. Die — teilweise widersprüchlichen — Statements werden unterbrochen von Aufnahmen historischer Lesungen, von Konzertaufnahmen mit Thelonious Monk und Ausschnitten aus Wochenschauen. Es ist ein Ritt durch eine Welt aus Drogen, geklauten Autos, Bebop, Apokalypse. Aber eigentlich, auch das zeigt der Film, war alles halb so wild. Howl, das berühmte Ginsberg-Gedicht, das mit den Zeilen »Ich sah die besten Köpfe meiner Generation vom Wahn zerstört/ hungrig, hysterisch, nackt« beginnt, erklärt der Verfasser retrospektiv kurzerhand zum Partygag.

In der Rückblende erscheinen die Beatniks oft wie ein reiner Männerklub auf Betriebsausflug: keine Frauen, jedenfalls keine ernst zu nehmenden, weit und breit. Janet Forman räumt mit diesem Vorurteil auf. Es gab Hettie Jones, Diane di Prima, Anne Waldmann, Frauen, die allerdings wesentlich mehr Probleme dabei hatten, ihr Schriftstellerinnendasein zu leben, als ihre männlichen Kollegen. Diese waren zwar gesellschaftlich geächtet, mußten aber nicht um Leib und Leben fürchten. In den Vierzigern und Fünfzigern war es dagegen gang und gäbe, daß wohlhabende Familien ihre durchgedrehten Töchter hinter Psychiatriemauern verschwinden ließen. Auch Kerouacs Tochter Jan verzieh ihrem Vater erst posthum, daß er sie und ihre Mutter sitzen ließ: »Ich hatte nie eines seiner Bücher gelesen. Als ich On the Road las, dachte ich, es war okay, daß er immer weg war.«

Der 1985 in Kanada von Ron Mann produzierte Film Poetry in Motion setzt da an, wo Forman aufhört. Was ist aus den Beats und ihren Überwindern geworden, was aus der amerikanischen Lyrik überhaupt? Teilweise tauchen dieselben Gesichter auf, aber auch John Cage, Tom Waits und Ted Kerrigan. Der Bogen ist weit gespannt, einziges Kriterium bei der Auswahl der Literaten war, ob für sie Poesie mehr als nur niedergeschriebene Worte bedeutet. Der Film stellt sich die Frage, ob die Literatur durch die Elektrifizierung der Gesellschaft ihre Bedeutung verloren hat und zeigt neuerliche Versuche, aus dem Elfenbeinturm auszubrechen, die Lesung attraktiver zu gestalten. Die Dichter und Dichterinnen arbeiten mit obskuren, selbstgebauten Instrumenten oder einem Kassettenrecorder, mit einer Reggae- oder Jazzband, mit Armen und Beinen, mit und ohne Stimmbänder — anything goes.

Alles dient dazu, den Rhythmus der Sätze zu betonen. Um Menschen zu erreichen, die es nicht mehr gewohnt sind, sich den einsam stehenden Worten hinzugeben. Damit stehen sie in direkter Nachfolge der Beats, sind fast so etwas wie die Urväter des Rap. Die Autoren in Poetry in Motion geben der Poesie die Unterhaltung und Natürlichkeit zurück, die sie in Literaturseminaren längst eingebüßt hat. Für Menschen ohne solide Englischkenntnisse ist der Film allerdings nicht zu empfehlen, da nur eine Originalfassung gezeigt werden kann. Thomas Winkler

The Beat Generation , OmU, USA 1987, von Janet Forman, noch bis 22. 4., jeweils 20 Uhr

Poetry in Motion , OF, Kanada 1985, von Ron Mann, ebenfalls bis 22. 4., jeweils 22 Uhr

Beide Filme im Checkpoint Baby, Leipziger Straße 55, Mitte.