Berlin muß weg vom Abstinenzdogma

■ Methadon-Experten fordern Umdenken in der Berliner Drogenpolitik/ Von 400 auf 3.000 Substituierte in drei Jahren/ Nachdenken über Methadon-Ambulanzen nach Hamburger Vorbild

Berlin. Die Berliner Drogenpolitik muß das Abstinenzdogma verlassen und die praktischen Erfahrungen im Alltag der Drogenarbeit mehr berücksichtigen. Das hat der Vorsitzende der Methadon-Beratungskommission, die sich aus niedergelassenen Ärzten und Vertretern der Krankenkassen zusammensetzt, Jörg Gölz, gestern gefordert. Mit einer Methadon-Substitution von Drogenabhängigen würden international gute Erfahrungen gemacht, teilte Gölz mit.

Der völlige Verzicht auf Drogen, also auch auf Methadon, sei zwar im Ideal anzustreben, in der Praxis aber unrealistisch. Gölz kritisierte, daß in den seit Oktober bundesweit geltenden Richtlinien zur Kostenübernahme der Methadon-Behandlung durch die Krankenkassen eine Übernahme nur erfolge, wenn ein lebensbedrohender Gesundheitszustand erreicht sei. Man müsse bei den vielen HIV-infizierten Drogenabhängigen also erst warten, bis die Krankheit ausgebrochen sei, um substituieren zu können. In Berlin werden zur Zeit etwa 400 Drogenabhängige von 116 Ärzten mit der Ersatzdroge Methadon behandelt. 120 von ihnen haben keine psychosoziale Betreuung.

Nach Ansicht Rolf Bergmanns, Mitarbeiter der Drogenberatungsstelle Tiergarten, sollte die Methadon-Vergabe in Berlin in den kommenden zwei bis drei Jahren auf 2- bis 3.000 Drogenabhängige ausgebaut werden. Das wären etwa 20 bis 30 Prozent der Berliner Junkies. Die Erfahrungen der Drogenberatung mit Substitution bezeichnete Bergmann als gut. Die Substituierten hätten sich sowohl in gesundheitlicher als auch in sozialer Hinsicht stabilisiert. Auch die Entkriminalisierung spiele eine wesentliche Rolle. »Die Leute müssen nicht ständig hinter ihrem Stoff her sein. Die Streßbelastung nimmt ab.« Allerdings sei die Durchsetzung jeder einzelnen Substitution bei der jetzigen Handhabung ein »irrer Kampf«. Bergmann forderte ein Umdenken in der Drogenpolitik. Anstelle der Methadon- Vergabe durch niedergelassene Ärzte müsse auch über sogenannte »Methadon-Ambulanzen« nach Hamburger Vorbild nachgedacht werden. Dort betreut ein interdisziplinäres Team von Ärzten, Psychologen und Krankenschwestern jeweils 70 bis 80 Klienten.

Zur Legalisierung weicher Drogen wie Haschisch und Marihuana sagte Rita Kielhorn für die Kassenärztliche Vereinigung, diese sei zwar gegen die Legalisierung, sie würde sich aber für eine Entkriminalisierung des Besitzes kleiner Mengen einsetzen. jgo/dpa