Auf der Suche nach dem Gegner

Über die Bilder des englischen Malers John Keane zum Golfkrieg  ■ Von Uta Ruge

Gute vier Wochen hat sich der vom britischen Imperial War Museum ernannte „offizielle Kriegskünstler“ John Keane während des Golfkrieges 1991 bei den Truppen des Vereinigten Königreichs in der arabischen Wüste aufgehalten. Das Resultat, ein unzensierter Blick auf das Geschehen des Golfkrieges in fünfunddreißig Gemälden, ist der Öffentlichkeit jetzt in einer Ausstellung des Kriegsmuseums in London zugänglich geworden. Das heißt, ein Bild wurde dann doch im letzten Moment abgehängt — dazu später mehr.

Für den erst 37jährigen englischen Maler John Keane ist diese viel beachtete Einzelausstellung bereits die zehnte seiner Karriere. Schon die erste, 1980 in einer Londoner Galerie unter dem Titel Moskau, Peking, Milton Keynes machte auf sein Selbstverständnis als politischer Künstler aufmerksam. 1988 und 1989 folgten Ausstellungen mit Bildern zum Krieg in Nicaragua und zum Bürgerkrieg in Nordirland; zwei seiner Bilder, die den Falklandkrieg thematisieren, befinden sich seit längerem im Besitz des Imperial War Museums.

So wie der Regisseur Oliver Stone immer wieder in Szenen der Gewalt fällt, um seine Antikriegsbotschaft an den Mann (und vor allem den!) zu bringen, begibt sich auch der erklärte Kriegsgegner John Keane immer wieder an die Front. Kunst in Berührung mit der „Welt da draußen“, so der Maler, sei ihm ungeheuer wichtig. Dabei beweist sich die gesellschaftliche Relevanz seiner Malerei für ihn — und sicher viele andere — im Skandal, den sie beim politischen Gegner auslöst. Er sieht sich hierin, ob zu Recht oder zu Unrecht, in einer Traditionslinie etwa mit Otto Dix, dessen Werk zufällig zur gleichen Zeit in einer großen Ausstellung der Londoner Tate Gallery vorgestellt wird.

Mickymaus an der Front

Auch diesmal ist es zum Skandal gekommen. Ein Mitte Januar in einem hiesigen Boulevardblatt publizierter Artikel, der auf ein Interview mit dem Künstler zurückging und mit einem Foto des „Skandalbildes“ geschmückt war, erregte Anstoß. Die gesammelte Rechtspresse stürzte sich auf ihn — „ich habe tagelang meine Haustür verrammeln müssen“ — und hetzte gegen den, der angeblich „unsere Jungs an der Front“ beleidigt habe. Archie Hamilton, Staatssekretär für die Streitkräfte, nebst Offizieren und Angehörigen gefallener Soldaten gaben eifrigen Reportern empörte Interviews.

Vermutlich hätten sie alle es gern gesehen, wenn der Direktor des immerhin staatlichen Museums daraufhin sein Veto gegenüber der Kunstkommission eingelegt hätte. Die aber kaufte unbeeindruckt von solcher Kritik gar das am meisten umstrittene Bild für die Museumssammlung an, und der Direktor hat sie nicht daran gehindert.

Das Skandalbild, das nun das erste Mal öffentlich vorgestellt wird, ist das großformatige Gemälde Mickeymouse at the Front. Dort sitzt im Vordergrund die uns allen sattsam bekannte Maus, und zwar als Reittier für Kleinkinder, wie man sie auch bei uns in Einkaufszonen und vor Supermärkten antrifft. Neben ihr hat sich eine schwarz verbrannte Dattelpalme zu Boden geneigt, und im Hintergrund bezeichnen Skyline und Wassertürme von Kuwait-City am ölverschmierten Strand den Ort der Handlung. Neben die knallbunt gemalte Mickymaus hat der Maler einen Einkaufstrolley gesetzt, in dem das Giftgrün der in ihm befindlichen Raketen den zweiten Farbfleck in einem sonst in ödem Braun-Schwarz- Beige gehaltenen Bild abgibt.

Ich muß gestehen, daß mir dieses Bild ohne den Presserummel nicht besonders aufgefallen wäre. Andere Bilder sind spektakulärer, und viele enthalten ähnlich polemische Elemente, beispielsweise amerikanische und arabische Banknoten oder Video-Stills, zum Beispiel von einer im Fernsehen nicht gesendeten Sequenz eines irakischen Lastwagens im Fadenkreuz der Alliierten, der sich im letzten Bild in der Wolke der Einschußexplosion auflöst. Geldscheine und Videoaufnahmen sind dabei als Umrahmung und Rahmen eingesetzt.

John Keane hat sich, seinem Auftrag gemäß, bei Einheiten aller Waffengattungen aufgehalten und seine Eindrücke mit mehr oder weniger konventionell dokumentarischen Bildern von den „Boys“, die ihren „Jobs“ nachgehen, festgehalten. Zu ihrer Arbeit zählt das Beladen der Flugzeuge mit Bomben ebenso wie das Posieren vor Filmkameras, und mir scheint, daß die Malerei selbst eine irritierte Ungeduld mit dieser Pflichtübung verrät: eilige Striche mit breitestem Pinsel werfen auf die Leinwand, was uns als Foto schon vertraut ist.

Das einzig Zusätzliche seiner Bilder ist, wie er die Presseleute ins Spiel bringt, sind die Hinweise auf ihre Arbeit unter den Bedingungen der Zensur, nicht so sehr die durch Pinselstrich und Komposition vermittelte andere Atmosphäre. Erst in kleinformatigen Aquarellen drückt sich etwas von der Surrealität und Distanz aus, die den in die arabische Wüste eingeflogenen Zivilisten zu schaffen gemacht haben muß: glühend blau-rote Himmel, in die sich elegante weiße Raketenschweife zeichnen. — Das kritische Potential jedoch, Spezialistentum, extreme Arbeitsteiligkeit und die bizarre Situation in der arabischen Wüste, wird nicht angegangen. Vielleicht war das unvermeidlich. Dem Maler sind alle Elemente dieser Mischung gleich fremd, und er ist, im Gegensatz zum Soldaten Otto Dix, weder Teil des einen noch des anderen. Der Versuch, diese Fremdheit auszudrücken — oder zu überwinden —, ist am deutlichsten in einem Selbstporträt, in dem sich der Maler während eines Gasalarms darstellt, und in einer Collage von Piloten in einer Hotelbar nach dem Einsatz, in der im Hintergrund Snooker gespielt wird und im Vordergrund jemand die neuesten Nachrichten über den Krieg in der Zeitung liest. Das Selbstporträt vermittelt mit seinen Collageobjekten — schwarzen Gummihandschuhen, Pinsel, Medikamentenpackung für Pillen gegen das erwartete Nervengas — etwas von der Realität und plötzlichen Angst ums eigene Leben; expressiver Farbauftrag und hektische Pinselstriche lassen Unruhe und Panik durchblicken.

Die andere Seite

Erst fünf Tage vor seiner Rückkehr gelangte John Keane nach Kuwait- City, aus dem die irakische Besatzung in kürzester Zeit nach Beginn der Landoffensive über die Straße nach Basra geflohen war.

Das erste Mal sieht er — wie auch die Soldaten der einmarschierenden Armeen —, welche Zerstörung die Waffen, die auf der einen Seite losgelassen wurden, auf der anderen angerichtet haben. Keane sagt in einem Gespräch mit der taz: „Was dort zu sehen war, war ziemlich schlimm. Solange man auf der einen Seite ist, sieht man nicht wirklich, was los ist. Selbst bei der Artillerie ist das eine ganze saubere, fast offiziell ausgeführte und präzise technische Operation. Es vermittelt einem keine Vorstellung davon, was dort passiert, wo die Geschosse landen. Kuwait-City stellte diese andere Seite dar, und natürlich auch das Schlachtfeld der Besatzung, die Geschichten von Folter und Brutalität.“ Der Maler hat sich nirgends, auch nicht bei den Soldaten der Stützpunkte, etwa mit Stift und Pinsel hingesetzt und skizziert. Er hat mit Fotoapparat und Videokamera gearbeitet und erst nach seiner Rückkehr beim Durcharbeiten des entwickelten Fotomaterials Bildideen notiert und schließlich ausgeführt. Er erklärt diese Methode, nach der er auch in seinem Nicaragua-Projekt bereits vorgegangen ist, mit der Geschwindigkeit des Geschehens, der das menschliche Auge — geschweige die Hand — nicht mehr folgen kann.

Für die brennenden Ölquellen, zerstörten Häuser und das Gemetzel der Straße nach Basra hat Keane zunächst nur den Blick des „Betroffenen“ übrig — wie etwa ein Besucher im Krankenhaus, der sich im Moment anrühren läßt und dann den Ort der Verzweiflung und des Schmerzes aufatmend wieder verläßt. Immerhin wird der Künstler nicht sentimental, und vor allem in der eher kleinformatigen Basra-Straßen-Serie Scenes on the Road to Hell (1-6) gelingt es ihm, das Gefühl der Fremdheit zu intensivieren. Er gibt der kalten Einsicht Raum, daß das eigene Leben, seines und unseres, mit alledem zunächst einmal nichts zu tun hat.

Das Mittel, mit dem er die Distanz zum Geschehen aufrechterhält, ist die immer wieder auftauchende Figur des Kuwaiti, der Keane in Kuwait-City herumführte und mit seinem brandroten Mercedes, der ebenfalls in jedem dieser Bilder auftaucht, zur Straße nach Basra fuhr. Wir sehen ihn nur von hinten, einen Fremden in traditioneller arabischer Kleidung, der die Reste seines zerstörten Landes betrachtet. Was immer wir selbst an Lehren ziehen möchten aus den im schmutzig-braunen Farbchaos erkennbaren Schlachtfeld der Autowracks oder den von Ölbrand glühenden und rauchig-verdunkelten Himmeln: Es ist dieser Fremde, der mit den Folgen leben muß und den es angeht. Ähnlich thematisiert Keane seine — unsere — Unbeteiligtheit auch in den gefangenen irakischen Soldaten. Sie erscheinen als schemenhafte Gestalten am Horizont, der in den obersten Bildrand geschoben ist. Die Mitte des Bildes ist die Leere des Wüstensands, in die unidentifizierbare Gegenstände in heiter-bunten Farben wie Spielzeug gestreut sind. Wir verstehen es nicht, und das ist es, worauf es ankommt.

Die Versuche des Malers, durch immer wieder in die Leinwände collageartig eingefügte Privatfotos arabischer Familien (Reste aus den Autowracks der fliehenden Iraker) eine menschliche Dimension der Tragödie anzudeuten, sind dagegen signifikant mißlungen.

Der abwesende Tod

Wenn es doch einmal die Ahnung einer Selbstverortung in der Katastrophe gibt, so liegt sie in der Bildserie Ashes to Ashes (1+2) und in dem Ölgemälde Death Squad: Beide thematisieren den Tod, vielmehr: den Leichnam des unbekannten, das heißt unidentifizierbaren Soldaten.

Allen Sinnen der Lebenden unzumutbar geworden — die behandschuhten Soldaten schützen Augen, Mund und Nase — wird er wie Müll in einer schwarzen Plastikplane aus dem Bild getragen. Oder er liegt, ein mit Blut, Sand und verkohltem Fleisch verbackenes Etwas, dessen Konturen als menschliche nur auf einige Schritte Abstand von der Leinwand erkennbar werden, als anonymer Rest im Nirgendwo — Chiffre des auf der „einen Seite“ unsichtbar gebliebenen, weil zensierten Todes in diesem Krieg. Keane hat, wie er sagt, nur einen Toten gesehen, alle anderen waren vor Ankunft der Presseleute, mit denen er sich bewegte, weggebracht und in anonymen Massengräbern verscharrt worden.

Zur Zensur: In letzter Minute beschloß der Direktor des Imperial War Museums, ein Bild wieder abhängen zu lassen, das sowohl im (noch nichts ahnenden) Katalog als auch in der liberal-sympathisierenden Presse als eines der besonders wichtigen dieser Ausstellung bezeichnet wurde. Nicht nur zeige es unter dem Titel Alien Landscape besonders deutlich die Distanz des Malers zum Krieg, sondern es würde — und darin lag offenbar der entscheidende Zündstoff — unweigerlich Probleme schaffen mit der moslemischen Gemeinde, da einige Seiten des Koran zusammen mit Dollarscheinen seine Umrahmung darstellten. John Keane habe sich, so die eine Zeitung, von einem moslemischen Gelehrten das Gemälde sogar „freigeben“ lassen, dem Direktor jedoch, so eine andere Zeitung, seien andere Dinge von anderen Gelehrten zu Ohren gekommen, und das Museum habe bereits Drohbriefe gegen Haus und Angestellte empfangen. Daher sei auf die öffentliche Präsenz des Bildes verzichtet worden.

Ich weiß nicht, was an diesen Erklärungen richtig ist und ob die Geschichte durch eine gewisse Sucht nach fundamentalistischen Auswüchsen übertrieben oder mißrepräsentiert wurde, denn ein Bild, in dem eine Seite aus dem Koran zu sehen ist, wurde ausgestellt.

Sicher bin ich mir jedoch darin, daß die entscheidende Lehre, die die Ausstellung vermittelt, weder in diesem noch im Mickymaus-Bild enthalten ist. Für mich war die Ausstellung ein Spiegel unseres Unvermögens, den Golfkrieg zu begreifen.

Gulf. John Keane, Ausstellung im Imperial War Museum, London, 26.März bis 31.Mai.

Otto Dix. Tate Gallery, London, 11.März bis 17.Mai.