Von Brooklyn nach Biloxi

■ »Biloxi Blues« von Neil Simon im Magazin am Kurfürstendamm

Fortsetzungen oder die zweiten, dritten oder vierten Aufgüsse bestehen selten den Vergleich zur altbekannten Vorlage. Nur allzu oft wird rein marktwirtschaftlich gehandelt: ein Erfolg soll wiederholt werden, dasselbe Strickmuster wird angewandt, der »Konsument« mit Déjà-vu-Erlebnissen betäubt. Vielleicht war das auch der Grundgedanke des Theaters am Kurfürstendamm: Kurz nach dessen Premiere von Neil Simons Damals in Brooklyn folgt nun der zweite Teil der Geschichte — Biloxi Blues — zur spätabendlichen Stunde im kleinen Ableger, dem Magazin. Das Neil-Simon- Doppelpack: wer Lust hat, kann sich beide Folgen hintereinander ansehen. Nur, daß das Prinzip hier einmal umgekehrt funktioniert, der zweite Teil schlägt den ersten um Längen. Was im »großen« Haus nur auf platteste Lacher abzielt, kommt im Magazin zynischer daher, ist weniger gefällig und einseitig.

Das einzige Verbindungsglied zwischen beiden Teilen ist die autobiographische Hauptfigur, der Erzähler und Tagebuchschreiber Eugene. Er ist ein paar Jahre älter geworden und wird Anfang der vierziger Jahre zum Armeedienst rekrutiert. In der langweiligen Kleinstadt Biloxi findet seine Grundausbildung statt, bevor es dann später in Europa gegen die Deutschen zu kämpfen gilt. Im Ausbildungslager haben er und seine vier Leidens- und Zimmergenossen sehr unter der Peitsche ihres »eisernen« Seargenten zu leiden (»Ich hatte einen netten Offizier à la James Stewart erwartet«), der die Kameraden wider Willen hemmungslos gegeneinander ausspielt und tyrannisiert.

An der Figur des Eugene wird deutlich, wie unterschiedlich zwei Regisseure arbeiten können. René Heinersdorff verkörpert in beiden Aufführungen den Berichterstatter, den Zeugen der Alltags- und Ausnahmesituationen. In Folke Brabands Inszenierung im Magazin ist er ein sympathischer, schüchtern-frecher Chronist, der seine geheimsten Gedanken nur seinem Tagebuch anvertraut und nach außen selten konkret Stellung bezieht. Verschwunden sind die oberflächlichen Effekthampeleien und Grimassen aus der Brooklyn-Aufführung, dieser Eugene ist nicht nur altersgemäß gereift.

Augenscheinlich liegt das Interesse dieser Inszenierung vorrangig auf der genauen Herausarbeitung der verschiedenen Typen und ihrer jeweiligen Reaktionen auf Extremsituationen. Da ist Wikowsky (Peter Flechtner), Pole und Ex-Lkw-Fahrer, tätowiert, die Dauererektion in der Hose, große Klappe, mit »schlagkräftigen« Argumenten schnell dabei. Er scheint prädestiniert zu sein für den Kampf in der ersten Reihe und damit verbundenen Auszeichnungen. Ihm ganz klar gegenüber steht der intellektuelle Epstein (Till Sarrach), der nur durch einen groben Fehler der Musterungsbehörde in diese Truppe geraten konnte. Sein nervöser Magen erschwert ihm den zweifelhaften Genuß am Truppenfraß (»Die sollten das Zeug über Deutschland ablassen. Die würden mit erhobenen Händen rauskommen.«), seine Zartgliedrigkeit und die erst nur von Eugene durchschaute Homosexualität machen ihn zum Lieblingsopfer nicht nur Wikowskys, sondern auch des autoritären Seargenten (Oliver Marlo). Deren Verhältnis artet in einen Zweikampf aus, den Epstein zum Schluß überraschend gewinnt.

Immer wieder komisch ist es, Selridge (Markus Majowski) zu beobachten, den selbsternannten Witzbold der Truppe. Mit verzweifelt- schmollendem Gesicht ist er selbst der größte Fan von sich und leidet zudem noch an einem schweren Ödipus-Komplex. Der andere »Künstler« unter den fünfen, der Schwarze Carney (Daniel White), nervt seine Kollegen mit Gesangseinlagen und ist für Eugene ein rotes Tuch, was seine Verläßlichkeit anbelangt. Doch unter dem Druck der inneren und äußeren Ereignisse verschafft sich die kleine, inhomogene Gruppe einen status quo, auf den sie bauen kann und durch den sie trotz aller Reibereien Begriffe wie Zusammenhalt und Solidarität erfahren lernt.

Die Typisierungen sind gelungen, jedem der Darsteller gelingt im Rahmen dieses Stückes eine glaubwürdige Verkörperung seiner Rolle (und sicherlich hat man selten so viele Liegestützen mit gleichzeitiger Bewältigung von Text auf einer Bühne gesehen). Trotzdem bleibt dieser Abend beliebig, er ist kurzweilig und amüsant — aber eben auch nicht mehr als das. Das liegt zu einem Teil an der Vorlage von Neil Simon, die man zwar nicht einfach unter dem Schlagwort »Boulevard« abtun kann, die aber auch nicht gerade ein tiefenpsychologisches Meisterwerk ist (und sicherlich auch nicht sein sollte).

Zum anderen aber weht ein leiser Wind vom Kurfürstendamm wohl auch über den Hinterhof bis ins Magazin: so karg und spärlich die Bühne zum Beispiel zu betrachten ist — ein sinnliches Erlebnis, wie trübsinnig, traurig, dreckig es in Biloxi gewesen sein mußte, läßt sie nicht erfahren. Und auch die Inszenierung bleibt keimfrei, alles ganz nett und sympathisch, es wird nichts riskiert, nichts gewonnen oder verloren. Stimmungsvolle Jazzmusik untermalt die einzelnen Szenen, wirkliches Unbehagen über die gezeigte, willkürliche Brutalität mag an keiner Stelle aufkommen. Das Magazin könnte eine Alternative zum Theaterbetrieb auf dieser Ku'damm-Meile sein. Aber mit einem Auge aufs Laufpublikum geschielt, bleiben die Inszenierungen unentschieden und irgendwo in der Mitte stecken. Anja Poschen

Biloxi Blues , heute um 23 Uhr im Magazin, Ku'damm-Karree