: Kolumbien vor dem Blackout
Wegen langer Trockenzeit und Mißwirtschaft wird der Strom täglich neun Stunden abgeschaltet ■ Aus Bogotá Ciro Krauthausen
Nachmittags um halb sechs, in dem wie üblich überfüllten Einkaufsviertel Chapinero in Bogotá: Vorsichtig verteilt der Besitzer eines Stoffgeschäftes ein halbes Dutzend Kerzen zwischen den Bahnen. Nebenan müht sich der Verkäufer einer Sportwarenhandlung damit ab, einen Benzin-Stromgenerator in Gang zu kriegen. Es ist höchste Zeit für diese Vorbereitungen. Denn in einer Stunde bricht über die Fünfmillionenstadt die Nacht herein. Die Straßenbeleuchtung wird abgeschaltet, die Ampeln funktionieren nicht, und kein Fernseher schimmert hinter den zugezogenen Gardinen. Nur die Automasse des Berufsverkehrs wälzt ihr Licht durch die Dunkelheit. 3.500 Polizisten versuchen, Sicherheit zu gewährleisten — und können doch nicht verhindern, daß die in Bogotá ohnehin häufigen Raubüberfälle, Einbrüche und Morde sprunghaft zunehmen. Um neun Uhr abends ist der Spuk vorbei, und der Strom fließt wieder. Doch am Morgen wird er wieder für vier Stunden abgeschaltet. Dann fallen die Computersysteme der Banken aus, schalten sich die Telefonzentralen ab, und Kleinbetriebe kommen zum Stillstand.
Anfang März wurde die Elektrizität in Kolumbien rationiert. Erst zwei, dann sechs und nun durchschnittlich neun Stunden täglich wird sie abgestellt — und es könnte noch schlimmer kommen. Nach einer langen Trockenzeit enthalten die Stauseen durchschnittlich nur noch 16 Prozent ihrer normalen Wasserkapazität. Einige Kraftwerke müssen vielleicht ganz abgeschaltet werden. Zwar hat in den letzten Wochen die klimatische Ursache der Energiekrise — die Aufwärmung des ansonsten kalten Humboldt-Stromes im Pazifischen Ozean — nachgelassen, weshalb sich die Regenzeit langsam einstellt. Aber um die Stauseen auch nur halbwegs zu füllen, müßte es wochenlang regnen. In einer Fernsehansprache stellte denn auch Energieminister Juan Camilo Restrepo letzte Woche lapidar fest: „Selbst wenn im April die Regenzeit einsetzt, muß das Land darauf vorbereitet sein, in diesem Halbjahr diszipliniert Stromrationierungen zu ertragen.“ Sollte es aber nicht regnen und nicht genug Strom gespart werden, dann fällt nach Expertenmeinung in drei Wochen der Strom total aus.
Am meisten sind jedoch jahrelange Fehlplanung, Mißwirtschaft und Korruption im Energiesektor für die Krise verantwortlich. Statt klimaunabhängige Energiequellen wie Kohlekraftwerke auszubauen, wurde blind auf den Wasserreichtum Kolumbiens vertraut — und teilweise, wie im vergangenen Jahr, noch nicht einmal genug Wasser für kommende Trockenzeiten gespart. Gleichzeitig wurden neue Staudammprojekte entweder mit der Begründung „zu teuer“ auf Eis gelegt oder nach einem teuren Baubeginn nicht beendet. Dabei verschuldete sich der gesamte Energiesektor mit 4,7 Milliarden Dollar bei internationalen Kreditinstitutionen, die sich wiederum jahrelang weigerten, eine Umstrukturierung dieser Auslandsverschuldung vorzunehmen. Angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Folgen der Energiekrise bewilligten die Interamerikanische Bank für Entwicklung und die Weltbank nun doch am Dienstag einen Kredit über 700 Millionen Dollar, mit dem das Staudammprojekt El Guavio beendet werden soll.
Der Industriellenverband ANDI schätzt die Verluste für die Industrie auf täglich 35 Millionen Dollar — und das, obwohl die Rationierung in den Industriegebieten bislang auf „freiwilliger Basis“ verlief. Nun aber droht die Regierung auch mit einer Stromsperre von täglich fünf Stunden für die Fabriken. Der Aufforderung des Energieministers, die Produktion während der Osterwoche einzustellen und die Belegschaft in Ferien zu schicken, dürfte indes nur ein Bruchteil der Industriellen nachkommen. Verbandssprecher Carlos Arturo Angel: „Viele Betriebe haben Verpflichtungen im Ausland. Es ist sehr schwierig, einem Kunden dort zu erklären, daß man den Vertrag nicht einhalten konnte, weil hier der Strom ausgegangen ist.“ Immerhin: Ein Wirtschaftszweig blüht. Nie sind in Kolumbien so viele, so teure Kerzen, Batterien, Petroleumlampen und Gaskocher verkauft worden.
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