Machtkampf der iranischen Kleriker

25 Millionen Iraner wählen heute ihr Parlament/ Statt Parteien konkurrieren Listen rivalisierender Geistlicher/ Ein „Wächterrat“ selektierte die Kandidaten nach Wünschen des Präsidenten  ■ Aus Teheran Robert Sylvester

Für die entscheidende Schlacht zwischen den verschiedenen Flügeln der iranischen Machtelite halten Beobachter die heute stattfindenden Parlamentswahlen in Teheran. Zum vierten Mal seit der islamischen Revolution im Jahr 1979 wird das „Madschlis Islami“, das iranische, islamische Parlament neu besetzt. Das Parlament hat umfangreiche Machtbefugnisse. So kann es die Ernennung von Ministern blockieren und Gesetztesvorlagen zurückweisen. 270 Sitze hat das Gremium und 2.207 Kandidaten, darunter 56 Frauen, bewarben sich diesmal in insgesamt 196 über das Land verteilten Wahlkreisen um einen Parlamentssitz. Beinahe 25 Millionen der insgesamt 59 Millionen Iraner sind über 16 Jahre alt und damit berechtigt, heute in einem der 30.000 Wahllokale ihre Stimme abzugeben.

Parteien sind im Iran nicht zugelassen. Statt dessen konkurrieren zwei klerikale Organisationen um die Parlamentssitze. Drei Jahre nach dem Tod Ayatollah Khomeinis führten sie einen von teilweise rüden Verbalattacken geprägten Wahlkampf um die Macht im Staat. Ayatollah Mahdavi Kani, ein enger Vertrauter Khomeinis, führt die „Dschamehe Ruhaniat Mubarez“, die Liste der „Kämpferischen Geistlichkeit“, an. Sie unterstützt die pragmatische Linie von Präsident Rafsandschani und ist ebenso für eine Öffnung zum Westen wie für freie Marktwirtschaft. Der Bazaar als traditionelles Handelszentrum und reiche Investoren mit engen Verbindungen zur klerikalen Kaste unterstützen sie. Die Kani- Fraktion geißelte im Wahlkampf die in manchen Bereichen 500 Prozent betragende Inflationsrate, die am Boden liegende Wirtschaft und die internationale Isolation des Irans. Verantwortlich für den Zustand ist nach ihrer Interpretation die rivalisierende „Ruhaniun Mubarez Tehran“, die Liste der „Militanten Geistlichen“, die in den letzten Jahren die Mehrheit der Parlamentarier stellte. Diese Gruppe, die sich 1988 von der „Kämpferischen Geistlichkeit“ abspaltete, wird von Parlamentssprecher Mahdi Karubi angeführt. Ein weiterer führender Kopf der „Militanten Geistlichen“ ist Ali Akbar Mohtaschami, Verfechter einer straffen Anti-West-Linie. Der Kleriker gründete und unterstützte als Botschafter in Damaskus die libanesische Hisballah und schaffte sich durch Bemerkungen wie, die amerikanischen Geiseln im Libanon seien zu früh freigelassen worden, ein eideutiges Profil.

Seit 1989 die Politik von Präsident Haschemi Rafsandschani unter der führenden iranischen Elite zunehmend auf Sympathie trifft, sieht sich die „konservative“ Fraktion der „Geistlichen“ von den „Pragmatikern“ der „Geistlichkeit“ unter Druck gesetzt. Durch ihre bisherige starke Parlamentsmehrheit gelang es den „Konservativen“, Rafsandschanis Politik in Teilbereichen zu behindern oder ganz zu blockieren. Aber Stimmen, die ein „Parlament auf Regierungslinie“ forderten, wurden immer lauter.

Ursprünglich wollten sich 3.150 Kandidaten um einen Parlamentssitz bewerben. Aber der sogenannte „Wächterrat“, ein Gremium aus 12 rafsandschanifreundlichen Theologen und Juristen, lehnte rund 1.000 Bewerber ab. Unter den Abgeblitzten waren prominente „Konservative“ wie der als „Blutrichter“ bekannte Ayatollah Khalkhali. Die meisten Ablehnungen hätten „moralische oder politische Hintergründe“, behauptete der Sprecher des „Wächterrates“. Ein anderes Ratsmitglied erklärte aber frank und frei, er werde es nicht zulassen, daß die „Störenfriede, die die iranische Regierung paralysieren“, Zugang zum Parlament erhielten. Der frühere Industrieminister Behzad Nabavi, der 1979 die US-Botschaft in Teheran besetzte, warf dem Gremium nach seiner Ablehnung „Ostblockmethoden“ vor. Ob dieser Praktiken ist Präsident Rafsandschani zuversichtlich, daß das neue iranische Parlament mehrheitlich seine Politk unterstützen wird.

Den meisten Iranern ist es eher gleichgültig, wer demnächst im Parlament sitzen wird. Wichtiger ist für sie, welche praktischen Verbesserungen für das tägliche Leben das Wahlergebnis mit sich bringt. Vor allem die iranische Unter- und Mittelschicht wurde in der letzten Legislaturperiode durch horrende Preisanstiege gebeutelt. Während die Monatsmiete für eine 50-Quadratmeter- Wohnung in der Teheraner Innenstadt nach der Revolution rund 250 Mark betrug, zahlen Iraner inzwischen 1.500 DM. Keine der beiden rivalisierenden Fraktionen präsentierten während des nur siebentägigen Wahlkampfes ein wirklich solides Programm. Zumeist wurden Klischees wie „Hilfe für die Armen und Entwicklung für das Land“ oder „Wehret den fremden Einflüssen“ ausgetauscht. Nicht wenige Iraner denken daher wie der 36jährige Taxifahrer Ali, der heute auf sein Wahlrecht verzichtet: „Das sind nicht meine Wahlen. Sollen sie sich die beiden Gruppen doch bekämpfen.“ Für eine andere Strategie entschied sich der 58jährige Metzger Hassan. Er will sich heute aus beiden Listen systematisch die Kandidaten herauspicken, die keine Kleriker sind.