Eine rot-braune Koalition in Osthessen

■ Im Main-Kinzig-Kreis ließ die SPD die sozial-ökologische Koalition platzen/ Die NPD dient jetzt als Mehrheitsbeschaffer/ Landes-SPD: Ein regionales Problem/ Jusos und CDU verlangen Rücktritt des Landrats

Frankfurt/Main (taz) — „Die SPD ist aus dem Ruder gelaufen und hat die NPD in Osthessen hoffähig gemacht.“ Der Landesvorstandssprecher der hessischen Grünen, Jürgen Frömmrich (32), nimmt als Spitzenfunktionär der Wiesbadener Regierungspartei kein Blatt vor den Mund. In Stuttgart und Kiel hätten die Sozis nach den Wahlerfolgen der Rechtsradikalen „offenbar nur Sprüche gekloppt“.

Im Main-Kinzig-Kreis, hart an der Landesgrenze zu Bayern, seien die sozialdemokratischen „Provinzfürsten“ im Kreistag dabei, die Rechtsaußenpartei NPD als Mehrheitsbeschaffer zu akzeptieren. Frömmrich: „Die Neonazis reiben sich im Hinblick auf die Kommunalwahlen im März 1993 die Hände.“

Tatsächlich stehen die Sozialdemokraten im Kreistag in Hanau vor einem politischen Scherbenhaufen. Die seit drei Jahren etablierte sozial- ökologische Kreiskoalition ist von der SPD einseitig aufgekündigt worden, weil man den Ex- Koalitionspartner zum „Sündenbock“ (Grüne) stempeln wollte. Und die CDU steht aus wahltaktischen Erwägungen heraus für eine große Koalition für den Rest der Legislaturperiode nicht zur Verfügung. Nur die fünf Abgeordneten der NPD sind noch bereit, die 42köpfige SPD-Fraktion „in Sachfragen“ bei Abstimmungen zu unterstützen. Bereits Ende März war mit SPD/NPD-Mehrheit eine Verkehrsanbindung für eine Mülldeponie in der Nähe von Erlensee im Kreistag verabschiedet worden.

Obleich der SPD klar war, daß die Grünen die innerhalb der rot-grünen Koalition kontrovers diskutierte Verkehrsanbindung ablehnen würden, zogen die Sozis im Kreistag die entscheidende Abstimmung durch. Dabei seien sämtliche von den Grünen noch angebotenen Komromißvorschläge „vom Tisch gewischt“ worden, empörte sich die engagierte Geschäftsführerin der Kreistagsfraktion der Grünen, Carla Willmes: „Die wußten, daß wir dagegen stimmen würden. Und die wußten auch, daß die CDU die Vorlage ablehnen würde.“ Und deshalb, so Kreisvorstandsmitglied Reiner Bousonville, hätten die Sozis „voll auf die NPD gesetzt“.

Für die Sozialdemokraten aus dem Main-Kinzig-Kreis steht dagegen fest, daß die Grünen die SPD „in die Arme der NPD getrieben“ hätten. In einem der taz zugespielten Brief des stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Wolfram Heyn heißt es, daß das „politische Unvermögen“ der Grünen dazu geführt habe, daß letztendlich das Abstimmungsverhalten der NPD ausschlaggebend geworden sei: „Sie haben an dieser Stelle wissentlich diese Situation provoziert. Dies stellt einen nachhaltigen politischen Vertrauensverlust innerhalb der Koalition dar, der sich nicht ausgleichen läßt.“

Doch das sehen noch nicht einmal alle Sozialdemokraten so: Die Jungsozialisten im Kreis vertraten die Auffassung, daß die „rot-braune Koalition“ von der SPD „bewußt in Kauf genommen“ worden sei. Aus „reinem Machterhaltungstrieb“ heraus hätten Landrat Karl Eyerkaufer und der SPD-Fraktionsvorsitzende Rainer Krätschmer die „NPD hoffähig gemacht“. Und deshalb müßten Eyerkaufer und Krätschmer zurücktreten. Bis zur Sprachlosigkeit geschockt ist offenbar auch die hessische SPD. Das Ganze sei nur ein „regionales Problem“, sagte ein Sprecher der Landtagsfraktion in Wiesbaden auf Anfrage.

Die CDU hat sich dagegen den Forderungen der Jungsozialisten im Main-Kinzig-Kreis angeschlossen: weg mit Landrat Eyerkaufer. Das Ganze sei ein „Skandal, der weit über die Grenzen des Kreises hinausreicht“. Und die im Kreistag nicht vertretene FDP stellte nüchtern fest, daß die Sozialdemokraten „nur noch mit der NPD mehrheitsfähig“ seien. Landrat Eyerkaufer habe sein „Waterloo“ erlebt, sagte der FDP-Landtagsabgeordnete Dirk Pfeil. Doch Eyerkaufer will nicht nach St. Helena.

Im Gegenteil: Damit das politische Porzellan vollständig zerdeppert wird, hat die Kreisregierung unter Eyerkaufer dem grünen Umweltdezernenten den umstrittenen Bereich Abfall entzogen. Eine „sachwidrige Entmachtung“ nannte das selbst die CDU. Die düpierten Grünen sprechen von einem „billigen Racheakt“.

Für den osthessischen Landtagsabgeordneten der Grünen, Fritz Hertle, ist jetzt die hessische SPD gefordert. Hertle erinnerte an den „ersten Sündenfall“ Bad Hersfeld. Zu Zeiten der CDU/ FDP-Landesregierung war in der Festspielstadt ein CDU-Kandidat mit den Stimmen der NPD zum Bürgermeister gewählt worden. Damals sei es gelungen, mit politischem Druck auf die regionalen CDU-Fürsten eine Wiederholungswahl zu erzwingen und die NPD auszuschalten. Hertle: „Und was damals richtig war, kann heute nicht falsch sein.“ An einer Umgehungsstraße bei der Verkehrsanbindung der geplanten Deponie dürfe keine rot-grüne Koalition auf Kreisebene scheitern. Klaus-Peter Klingelschmitt