Bosnien ist schon mit seiner Anerkennung zerstört worden

■ Der neue Staat hat wenig Chancen, lange zu bestehen/ Serbische Milizen und jugoslawische Bundesarmee wollen einen Korridor zur Krajina erobern

Gerade zu einem eigenständigen Staat erhoben, ist Bosnien zum Schlachtfeld im serbisch-kroatischen Konflikt degradiert. Noch jedoch ist der Wille großer Teile der Bevölkerung ungebrochen, den alten Traum einer bosniakischen Nation zu verwirklichen. Gerade demonstrierten Zehntausende im Kugelhagel der nationalistischen Fanatiker in Sarajevo, in Bihac und anderen Städten für das friedliche Zusammenleben von Staatsbürgern unterschiedlicher Nationalität. Sie demonstrierten für die Existenz einer bosniakischen Nation, die sich nicht nur über die sie tragenden Völker, sondern demokratisch und von den staatsbürgerlichen Rechten des Individuums her definieren müßte. Es gehört zu den tragischen Fehlern der europäischen Jugoslawienpolitik, vor der diplomatischen Anerkennung Bosniens ein Kantonalmodell beschlossen zu haben, das von den serbischen und kroatischen Nationalisten gefordert wurde. Denn eigentlich hätte die diplomatische Anerkennung im Interesse aller die Anerkennung des staatsbürgerlichen Prinzips einschließen müssen. Die Zerstörung Bosniens ist in den Augen der Demonstranten mehr als nur die Zerstörung eines Staates, sie bezeichnet auch den Angriff auf ein umfassendes Prinzip.

In den großen Städten überwiegt zwar noch der Selbstbehauptungswille dieser Menschen, doch ist der bosnische Gesamtstaat in vielen Regionen schon aufgelöst. Lokale Behörden haben die Macht schon übernommen. Dort wo Serben dominieren — und das sind jetzt fünf nicht zusammenhängende Gebiete im Nordwesten, Nordosten und Südosten des Landes — wurde sogar ein eigener Staat ausgerufen. Und auch dort, wo Muslimanen und Kroaten die Mehrheit stellen, befindet sich die bosniakische Staatsidee auf dem Rückzug. Fast überall werden die Minderheiten unter Druck gesetzt und sogar durch Terror zur Flucht gezwungen, wie dies in Bijeljina kürzlich geschehen ist, wo Serben Muslimanen vertrieben haben. Lediglich in den muslimanisch dominierten Gebieten gibt es noch so etwas wie Rechtssicherheit für alle Bürger.

Dies ist auch deshalb so, weil in der Begründung einer bosniakischen Nation die Überlebenschancen für die Muslimanen liegen. Die Zersplitterung des Landes dagegen bringt die muslimanische Bevölkerung in große Gefahr. Das Wissen darum hatte in den letzten 45 Jahren gerade die Muslimanen zu einer Stütze für das titoistische System werden lassen und eine laizistische Führungsschicht auch nach dem Zusammenbruch des Gesamtstaates Jugoslawien an der Macht erhalten, die sich von dieser Geschichte nur wenig zu distanzieren brauchte. In der Gestalt des Präsidenten Alija Izetbegovic, der vor Jahren wegen eines Buches über die Islamische Republik im Gefängnis saß, wird auch ein anderes Element des muslimanischen Denkens sichtbar. Je weiter der Zusammenbruch des bosnischen Staates voranschreitet, wird die islamische Komponente stärker werden. Die muslimanische Identität wird immer mehr religiös und vermittelt darüber nationalistische Züge. Auch bei den Muslimanen ist mit den Grünen Baretten eine Milizarmee entstanden, die, bis an die Zähne bewaffnet, Krieg zu führen imstande ist.

Kompliziert wird die Situation noch durch die jugoslawische Bundesarmee, die in Bosnien ihr traditionelles Rückzugsgebiet besitzt. In der titoistischen Militärdoktrin sollte sie von hier aus den möglichen Invasoren entgegentreten. In Bosnien verfügt sie über ein riesiges Waffenarsenal, über unterirdische Produktionsanlagen, über Lebensmittelreserven, über einen der größten und modernsten Luftwaffenstützpunkte Europas (Bihac) und über Zehntausende von Offizieren und Soldaten. Daß in Bosnien über das Schicksal der „Volksarmee“ entschieden wird, ist auch den Militärs bewußt. Deshalb befinden sie sich in einem verzweifelten Abwehrkampf. Mit dem Austritt Bosniens aus Jugoslawien wird zudem für sie die Illusion zerstört, noch „Jugoslawien“ zu verteidigen. Mit der letzten Rückzugsmöglichkeit in die serbisch dominierten Gebiete Bosniens wäre ihr das Existenzrecht völlig entzogen. Denn dann fragten nicht nur die serbischen Rechtsextremisten wie der Tschetnikführer Seselj zu Recht, warum Serbien diese „kommunistische“ Armee — bei Strafe des ökonomischen Zusammenbruchs — finanzieren und warum es nicht gleich eine serbische Armee formen sollte (in der die jetzigen „Tschetnik- Kriegshelden“ dann selbstverständlich in die hohen Positionen rückten).

Schon seit langem sind die miltärischen Aktionen der Armee auf die strategischen Ziele der Serben ausgerichtet. Der Kampf um Bijeljina, der zwar von dem Freischärlerkriminellen Arkan entschieden wurde, hat das Ziel, die im Nordwesten liegenden serbischen Gebiete Bosniens und die sich anschließenden von Serbien besetzten kroatischen Gebiete (Krajina) durch einen Korridor mit Serbien zu verbinden. Die jugoslawische Armee hat diesen Kampf offensichtlich unterstützt. Und indem sie nun auch in der westlichen Herzegowina gegen die Kroaten aktiv wird, tut sie nichts anderes, als von den serbischen Nationalisten beanspruchte Territorien zu verteidigen oder zusammen mit den Tschetniks zu erobern.

Um den strategisch wichtigen Paß bei Kupres wird heftig gekämpft (das Dorf Malovan ist übrigens nicht dem Erdboden gleichgemacht, wie irrtümlich in der taz vom Dienstag zitiert), so auch um Mostar. Hier soll das Neretva-Tal gesichert und Serbien ein Zugang zum Meer eröffnet werden, so daß Dubrovnik dann endgültig von Kroatien abgeschnitten bliebe. Genau das aber wollen die Kroaten verhindern. Es ist in Zagreb ein offenes Geheimnis, daß reguläre kroatische Soldaten an der Seite der kroatischen Territorialeinheiten in der westlichen Herzegowina kämpfen — sie stammen angeblich alle selbst aus der Region und sollen Freiwillige sein. Auch die Truppen der rechtsradikalen HOS — die sich zunehmend selbst als „Ustascha“ definiert — kämpfen hier in vorderster Reihe. Die kroatische Bevölkerung hat seit Montag die Möglichkeit, sowohl die bosnische als auch die kroatische Staatsbürgerschaft anzunehmen — dies ist der erste Schritt zur Vereinigung der von Kroaten dominierten Gebiete Herzegowinas mit Kroatien. So werden in künftigen Geschichtsbüchern nicht nur die serbischen Nationalisten als die Totengräber des bosnischen Staates bezeichnet werden dürfen, sondern auch die kroatischen. Der neue Staat Bosnien hat also wenig Chancen, trotz seiner diplomatischen Anerkennung durch die wichtigsten Staaten der Welt, lange zu bestehen. Eigentlich hat er mit ihr schon aufgehört zu existieren. Und dieser Umstand wird vielen Menschen zum Verhängnis werden, wenn sich die UNO nicht bald entschließt, gerade in Bosnien massiv aktiv zu werden. Erich Rathfelder, Zagreb