Immer mehr Gedenktafeln geklaut

■ DDR-Gedenktafeln von Andenkenjägern abmontiert oder von Vandalen zerstört

Berlin. Sie kündeten von der Überlegenheit des Sozialismus oder rühmten die antifaschistische Tradition der DDR: Gedenktafeln waren für das SED-Regime wichtige politische Symbole. Jetzt drohen sie aus dem ostdeutschen Straßenbild zu verschwinden — von Souvenirjägern abmontiert oder von vandalistischen Jugendlichen zerstört.

Im April 1945 erhängte die SS zwei junge Soldaten, die den sinnlosen Kampf nicht fortsetzten wollten, an den Gittern eines Buchladens in der Friedrichstraße. Einer mußte vor der Brust ein Schild mit der Aufschrift tragen »Ich war zu feige, meine Eltern zu verteidigen«. Ende 1952 ließ die SED neben dem Eingang der Buchhandlung eine Gedenktafel zur Erinnerung an die beiden Ermordeten anbringen. Nach der Wende in der DDR rissen Unbekannte die Tafel von der Wand. Der Verein Aktives Museum brachte daraufhin eine neue Kunststoffplatte mit dem alten Text an. Zweimal wurde die Ersatztafel wieder abmontiert, zweimal ließ der Verein eine neue anschrauben.

»Ich fürchte, es ist nur eine Frage der Zeit, bis die auch wieder weg ist«, sagt Christiane Hoss vom Aktiven Museum. »Dieser Vandalismus muß endlich aufhören. Die Gedenktafeln sind wichtige historische Dokumente für das Selbstverständnis der DDR.« Allein in Ostberlin sind nach Recherchen des Historikers Martin Schönfeldt, der ein Buch zum Thema verfaßt hat, im vergangenen Jahr 24 der knapp 200 Gedenktafeln zerstört oder gestohlen worden. Mittlerweile dürften es erheblich mehr sein. In anderen ostdeutschen Städten sieht es ähnlich aus.

Im Keller verstauben die Tafeln

Nach dem Fall der Mauer hatte der Berliner Magistrat verfügt, den Namen Erich Honecker und das Parteikürzel SED von allen öffentlichen Gebäuden und Plätzen zu entfernen. In einem Keller des Märkischen Museums verstauben seither Gedenktafeln mit den entsprechenden Inschriften. So heißt es auf einer Platte, die vor dem Schauspielhaus am heutigen Gendarmenmarkt in den Boden eingelassen war: »Buchstäblich aus Ruinen auferstanden, wird das Berlin von heute immer mehr zu einem Symbol für den Siegeszug des Sozialismus auf deutschem Boden. Erich Honecker 1979.«

Anders als in der Frage der DDR- Denkmäler herrscht unter den Parteien weitgehend Einigkeit darüber, daß die noch vorhandenen Gedenktafeln erhalten bleiben sollen. »Wir wollen lediglich Wandplatten mit ganz grotesken Inhalten abmontieren«, sagt der Vorsitzende der Denkmalkommission von Berlin-Mitte, Martin Gaber. »Es muß ja nicht unbedingt an einen Besuch Lenins im Deutschen Theater erinnert werden.« Ralf Neukirch/ap