Bei Türken macht der Einkauf mehr Spaß

■ Türkisches Wirtschaftsleben in Berlin (letzter Teil): Die Ausstellung »Buyurun« im Haus der Kulturen der Welt zeigt Lebensläufe türkischer Unternehmer/ Existenzgründungen als Ausweg aus der Arbeitslosigkeit/ Familiäre Ökonomie

Tiergarten. Für viele sind sie unentbehrlich geworden — die türkischen Läden gleich um die Ecke. Sie sind Ersatz für überfüllte Supermärkte und oft der einzige Ort, wo der Kunde noch darauf hoffen kann, einen Kredit zu erhalten, sollte die eigene Haushaltskasse einmal leer sein. Die persönliche Beziehung nicht nur nach außen, auch nach innen — das ist der große Vorteil, der vielen türkischen Kleinbetrieben in Berlin die Existenz sichert.

Dokumentiert wird dies auf sehr anschauliche Weise derzeit im »Haus der Kulturen der Welt«. Bis zum 29.April werden in drei Ausstellungsräumen die Lebensläufe türkischer Unternehmer gezeigt. Programmatischer Titel: Buyurun, was auf deutsch so viel heißt wie »Bitte sehr«. Den Veranstaltern — dem Museum für Europäische Migration, dem Berliner Institut für Vergleichende Sozialforschung und dem Verein für Gegenseitigkeit — ging es vor allem darum, den gewohnten Blickwinkel zu durchbrechen. Hier sind die Türken einmal nicht Opfer der Umstände, sondern präsentieren sich als selbstbewußt Handelnde, die sich einen festen Platz im Berliner Wirtschaftsleben erobert haben. Die Lebensläufe zeigen, wie sehr türkische Traditionen die Unternehmenspolitik beeinflussen.

An erster Stelle steht die Familie, was die minutiös verzeichneten Geburtsjahre der Töchter und Söhne veranschaulichen. Nicht selten steigen die Kinder Jahre später in die Familienbetriebe mit ein — was scherzhaft mit der Abbildung eines fünfjährigen Türken angedeutet wird, dem letzten in der Reihe der Portraitierten.

Auch bei der Auswahl deutscher Lehrlinge werden traditionelle Werte keineswegs ausgeklammert. Beispielhaft dafür steht die Aussage eines türkischen Unternehmers: »Bevor ich Lehrlinge einstelle, rede ich mit den Eltern.« Die Lehrlinge werden wie Familienmitglieder behandelt. »Sie repräsentieren in der Schule und außerhalb der Schule unsere Firma... Ich versuche ihnen gegenüber wie ein Vater zu sein«.

Die Einzelportraits geben einen Eindruck davon, was es heißt, als Türke in der Bundesrepublik zu arbeiten. Viele von denen, die sich für die Ausstellung abbilden ließen, kamen Anfang der sechziger Jahre als Kontraktarbeiter in die Stadt. Manch einer wechselte zigmal den Beruf, bevor er sich entschloß, sein eigener Herr zu werden. Nicht selten war die eigene Entlassung der Auslöser für die Existenzgründung.

Die Zahlen der türkischen Selbstständigen steigen von Jahr zu Jahr. 626 Handwerksbetriebe, davon 213 im Textilbereich wurden bis heute in Berlin gezählt. Auch in der Baubranche engagieren sich zunehmend türkische Unternehmer, die an deutschen Hochschulen studiert oder eine Ausbildung als Facharbeiter erworben haben. Doch noch immer betätigen sich die türkischen Unternehmer vorrangig im Verkauf oder in der Herstellung von Döner-Kebab, allein in Kreuzberg sind es fast 50 Prozent. Was den Ost-Berliner Raum betrifft, verdeutlicht die Ausstellung, daß türkische Unternehmen sich dort nur zögerlich ansiedeln. Schwerpunkte sind hier die Stadtmitte und der Prenzlauer Berg, während die Ränder im Osten weitgehend unterversorgt sind.

Die Ausstellung, die sich glücklicherweise hütet, den Besucher mit drögem Faktenmaterial zu langweilen, präsentiert eine Welt, die für viele tagtäglich erlebbar ist und die doch kaum beleuchtet wird. Darüber hinaus ist »Buyurun« das sympathische Schlagwort gegen die Erfolge der Rechtsradikalen. Severin Weiland

»Buyurun«, Kongreßhalle; bis zum 29.April