GASTKOMMENTARE
: Zeit der Re-Formierung

■ Labour verlor in Großbritannien — ist Europa die Sozialdemokratie leid?

Die konservative britische Presse hat sich die letzten Tage damit beschäftigt, über die Wahlergebnisse in der Bundesrepublik, Italien und Frankreich zu lachen: „Europa ist unregierbar“. Damit stellen sie den erwarteten Niedergang Europas hin zu einem Weimar-ähnlichen politischen Chaos den Präferenzen britischer WählerInnen gegenüber, sich für eine große Partei zu entscheiden. Nun haben die Konservativen die Wahlen gewonnen. Doch das genaue Gegenteil fand statt: Großbritannien stimmte dafür, das neue Italien Europas zu werden — permanent von einem Einparteien-System regiert zu sein.

Die Labour-Partei verlor aus drei Gründen. Erstens mußte sie dem britischen Wahlsystem zufolge mehr Sitze in einer Wahl gewinnen, als je eine Partei zuvor erreicht hatte. Zweitens ist es Thatcher gelungen, eine Zweidrittel-Gesellschaft zu kreieren, in der sich mehrheitlich die materiellen Interessen unter Labour verschlechtert hätten. Und drittens kämpfte und gewann Labour zwar die dreiwöchige Wahlkampfzeit, doch war es der Partei in den drei Jahren zuvor nicht gelungen, im post-industriellen Großbritannien in neue Denkkategorien vorzustoßen. Das Labour-Programm versprach ein rigoroses Management a la Francois Mitterrand oder Felipe Gonzalez, ihm fehlte jedoch die Inspiration, diejenigen zu erreichen, die eine neue Politik wollen. Eine Politik, die das Ende des Kommunismus ebenso bedenkt wie die Weltkrise in Fragen der Ökologie, der Menschenrechte und der Arbeit. Labour war immer noch pro-Nato, pro-IWF und pro-Industrie, als diese drei Grundsäulen des Nachkriegseuropas schon hinterfragt wurden.

Obwohl der wiedergewählte John Major glaubt, Großbritannien sei anders als der Rest Europas, weisen die europäischen Frühjahrswahlen viele Ähnlichkeiten auf. Quer durch Europa zieht sich eine Front gegen die Parteien und politischen Systeme, die sich nach 1945 etablierten. Es fehlte an Vorstellungskraft, die Bedürfnisse, aber auch Chancen eines sich einigenden Europa zu erfassen. Auch die mangelnde Unterstützung des demokratischen Wandels in der ehemaligen Sowjetunion offenbarte die Flachheit der derzeitigen Regierungschefs und die Überholtheit des existierenden politischen Systems. Europa entschied sich für etwas Neues, etwas Grüneres und näher an der Gemeinschaft Liegendes. Jetzt muß Politik wieder-erfunden werden, damit Parteien, Programme und PolitikerInnen diese Frühjahrsbotschaft auch verstehen. Die ökonomischen Programme der linken Parteien lassen viel zu wünschen übrig. Labour war, wie die SPD, viel zu nervös, als die Partei danach rief, die gesamte öffentliche Finanzierung umzugestalten. Einer Arbeiter- und Mittelklasse aber, die jetzt schon glaubt, zu viele direkte oder indirekte Steuern zu zahlen und immer mehr Gesundheits- und Sozialversicherung leisten zu müssen, war das nicht gerade eine Freude.

Die 40-Prozent-Marge scheint das absolute Maximum für jede europäische Partei auf der Linken zu sein, weil sie alle noch immer auf politischen Formationen basieren, die Anfang des 20. Jahrhunderts der industriellen Produktion entsprangen. Europas Linke ist dazu verdammt, neue Allianzen oder Koalitionen einzugehen, um an die Macht zu kommen. Im Moment findet eine Aufsplitterung statt, der aber in nicht allzu ferner Zeit eine Re-Formierung folgen wird. Die Herausforderung der linken Parteien wird es sein, den eigenen Parteien-Patriotismus zu überwinden.

Sozialdemokratische Ideen brauchten 50 Jahre, um dieses Jahrhundert zu prägen. Sie hatten 40 Jahre Zeit, zu regieren. Jetzt ist ihnen die Luft ausgegangen. Jede neue, nicht-konservative Allianz, obwohl immer noch auf den alten Parteien der Linken basierend, braucht eine neue Theorie, neue SprecherInnen, neue ökonomische und soziale Konzepte. Europa hat danach gefragt. Aber wo sind die, die sie anbieten könnten? Denis Mc Shane

Mitglied der Labour-Party und früherer Wahlkandidat. Er arbeitet für die Internationale Metallarbeiter-Föderation in Genf. Schreibt Kolumnen für den 'New Statesman‘ in London und für 'In These Times‘ in den USA.