INTERVIEW
: „Eine spannende Geschichte!“

■ Interview mit Michael Sieber (44), umweltpolitischer Sprecher der CDU in Baden-Württemberg und stellvertretender Fraktionsvorsitzender

In der baden-württembergischen CDU wächst die Bereitschaft zu einer Koalition mit den Grünen Tag für Tag. Wie gestern im baden-württembergischen Staatsministerium verlautete, befürwortet inzwischen die Hälfte der CDU-Kreisvorsitzenden eine solche Option, in der Fraktion gibt es bereits eine klare Mehrheit für ein konservativ-ökologisches Bündnis. Auch in der Verhandlungskommission der Christdemokraten sitzen überwiegend Politiker, die eine schwarz-grüne Koalition einer rot- schwarzen wenn irgend möglich vorziehen würden. Die taz sprach mit dem stellvertretenden Fraktionschef der CDU im Landtag, Michael Sieber, der auch umweltpolitischer Sprecher seiner Partei ist, über Chancen und Risiken einer solchen Regierung.

taz: In der CDU Baden-Württemberg wird ernsthaft über eine Koalition mit den Grünen nachgedacht. Wäre eine Koalition mit der SPD nicht viel unproblematischer?

Michael Sieber: Die umweltpolitischen Ziele der CDU und der Grünen liegen viel näher beieinander als die von CDU und SPD...

Das ist ja höchst interessant! Könnten Sie das unseren LeserInnen mal näher erläutern?

In den großen Bereichen, als da wären: Luftreinhaltung, Gewässerschutz, Bodenschutz und Müllpolitik, dürfte es, was die Zielsetzung, das Instrumentarium und den zeitlichen Rahmen der Umsetzung angeht, kaum Probleme geben. Ein weiteres Beispiel wäre die Naturschutzpolitik. Man kann natürlich darüber streiten, ob bestimmte Maßnahmen nicht schneller in die Wege geleitet hätten werden müssen. Aber in der Tendenz der Naturschutzpolitik dieses Landes gibt es kaum einen Dissens zwischen den Auffassungen der beiden Fraktionen.

Beim Thema Sondermüll scheiden sich die Geister. Was würden Sie den Grünen denn anbieten?

Ich halte nichts davon, zu diesem Zeitpunkt schon in Vorverhandlungen einzutreten und Ziele abzustecken, hinter denen man zurückbleiben muß. Ich weiß nicht, ob bei den Koalitionsverhandlungen herauskommen könnte, schon in den nächsten Jahren auf eine Müllverbrennung zu verzichten. Im rot-grün regierten Hessen nimmt der Export von Sondermüll auch unter Umweltminister Joschka Fischer dramatisch zu.

Wie sieht denn Ihr Ausweg aus diesem Dilemma — Verbrennen oder Verschieben — aus?

Wir müssen die Vermeidungsstrategie weiterentwickeln. Diese Strategie wurde in Baden-Württemberg übrigens gemeinsam von der CDU und den Grünen entworfen. Der Anteil des grünen Abgeordneten Kretschmann ist da nicht zu unterschätzen. Die Sonderabfallabgabe war auch eine schwarz-grüne Erfindung. Die baden-württembergische SPD hat gegen dieses Gesetz fürchterlich polemisiert. Und vier Wochen später hat Rot-Grün dasselbe in Hessen gemacht. Die haben sogar genau dieselben Tonnagegebühren übernommen. Das war also eine schwarz-grüne Erfindung. Der Sondermüllexport stieg in Hessen im vergangenen Jahr um 50Prozent — trotz Joschka Fischer. Das macht der ja auch nicht gern. Aber es ist doch unverantwortlich, zu behaupten, man könne ab heute auf alle Verbrennung verzichten. Ich kann aber heute schon sagen: Ich peile an, daß ich in 15 oder 20 Jahren durch Produktions- und Verfahrensumstellungen den Anteil an verbrennbaren Sondermüll gegen Null bringen kann. Wer heute schon auf die Verbrennung verzichtet, der nimmt horrende Exportraten in Kauf. Und bevor der Sondermüll nach Polen, nach Afrika oder nach Schönberg geht, schick ich den lieber in eine Verbrennungsanlage, bei der ich die Aufsicht habe.

Ihnen ist vermutlich klar, daß die Grünen nur mit der CDU koalieren können, wenn sie hier umweltpolitisch mehr herausholen als in Hessen oder Niedersachsen...

...völlig klar, völlig klar. Aber das halte ich für machbar.

Wann schalten Sie das AKW Obrigheim ab, Herr Sieber?

Das ist natürlich auch eine staatsrechtliche Frage. Es gibt ja ein Verwaltungsgerichtsurteil, das dem Eigentümer den Betrieb zugesteht. Wir müssen ernsthaft und rechtsstaatlich prüfen, wie das zu machen ist.

Nach unseren Informationen werden die Grünen mit Ihnen nicht darüber diskutieren, ob man Obrigheim abstellt. Das ist für die eine Grundvoraussetzung. Die Grünen werden gleich über das AKW Neckar-Westheim reden wollen.

Jajaja. Das ist schon klar.

Also steht die Diskussion über Neckar-Westheim an oder nicht?

An dem Tag, an dem man für Baden-Württemberg den Nachweis erbringen kann, daß ich ohne irgendein Versorgungsrisiko raus kann aus dem Atomprogramm, kann niemand drin bleiben. Da kann eine demokratische Partei doch gar nicht anders reagieren. Aber dieser Nachweis ist bisher nicht erbracht worden, daß man das in fünf oder zehn Jahren machen kann. In keinem Bundesland. Wenn ich ernsthaft für Alternativen zu Kernkraftwerken bin, dann muß ich diese Alternativen auch entwickeln. Das sage ich auch an die Adresse meiner eigenen Partei. Es ist falsch, daß wir für die Sicherheit der Kernenergie noch immer viel mehr Geld ausgeben als für die Forschung alternativer Energien. Da müssen wir klotzen, und nicht kleckern.

Herr Sieber, was reizt Sie eigentlich persönlich an dieser noch nie dagewesenen Koalition?

Ich halte es für eine absolut spannende Geschichte, daß hier zwei vermeintlich weltanschaulich nicht miteinander verträgliche Konzeptionen aufeinander abgestimmt werden. Und wenn das irgendwo klappen kann, dann hier.

Wieso nur in Baden-Württemberg?

Wir agieren hier pragmatischer. Eine interfraktionelle Arbeitsgruppe Sondermüll, die es in Baden-Württemberg gegeben hat, wäre woanders doch gar nicht denkbar. In der Kulturpolitik war das ähnlich. Vielleicht liegt das am süddeutschen Liberalismus. Man sagt ja, daß wir hier etwas weltoffener sind als anderswo.

Herr Sieber, wie wollen Sie eine schwarz-grüne Koalition Ihrer Klientel erklären?

Das ist das zentrale Problem für beide Parteien. Aber in der Umweltpolitik bewegen wir uns doch auf einem erzkonservativen Feld. Wer sich für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen einsetzt, der ist für mich ein Wertkonservativer. In Fragen der Gesellschaftspolitik gibt es natürlich sehr unterschiedliche Vorstellungen. Wir werden, wenn wir zusammenkommen wollen, zur Kenntnis nehmen müssen, daß jeder nur ein Teil des Ganzen ist, und daß nur alles zusammen das Ganze ergibt. Die Grünen müssen genauso über ihren Schatten springen wie wir auch. Aber das wäre doch spannend!

Nehmen wir etwa das Beispiel Drogenpolitik. Was geht denn da zusammen?

Da gibt es keinen Königsweg. Wir sind in der Fraktion sehr offen für Diskussionen. Denn wir sehen ja auch, daß wir bei diesem Thema am Ende sind. Die Probleme werden jeden Tag größer. Und jeder tut so, als ob er die Probleme lösen könnte. Es hat sie aber noch keiner gelöst. Das müssen wir zusammen machen. Zum Beispiel in einer Kommission, wo man mal alles ganz offen diskutiert.

Anderes Beispiel: Fristenlösung und Paragraph218.

Das ist der schwierigste Punkt, den die Grünen, die ja für eine Fristenlösung ohne Beratung eintreten, bisher in die Diskussion gebracht haben. In meiner Fraktion und in meiner Partei treffen Sie da einen ganz sensiblen Punkt. Ich halte es für problematisch, wenn die Grünen das schon vor Koalitionsverhandlungen zum Essential machen. Wir haben noch kein Essential genannt. Bei allem Verständnis für die Grünen: Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Fraktion der CDU über diese Latte springen kann. Wenn man sich aber darauf verständigen würde, sich im Bundesrat in dieser Angelegenheit der Stimme zu enthalten — das ist bei der großen Koalition in Berlin bei strittigen Fragen ja auch so üblich — wäre das eine faire Sache. Ich muß das noch mal sagen: Dieses Thema hat in meiner Partei einen Sprengsatz, den können Sie sich nicht vorstellen. Eine uneingeschränkte Fristenlösung, das geht heute noch nicht mit der CDU. Interview: Claus Christian

Malzahn und Dietrich Willier