Um heftig zu werden

■ Helmut Nadolski: „Wenn ein Mensch stirbt, wird die Erde leichter“

Atemlose Stille im freiraum-theater. Es ist stockdunkel, langsam, ganz allmählich dringt ein schwacher Lichtschimmer eines Spotlights durch die Finsternis. Ein korpulenter Herr in schwarzem Umhang und mit Rauschebart tastet sich zu einem Kontrabaß, berührt ihn und wendet sich den Bögen zu, um sie behutsam zu reinigen. Dann fängt er nicht etwa zu spielen an, sondern zu reden. „Wenn ein Mensch stirbt, wird die Erde leichter und tiefer um ein Loch.“ Dann kratzt der mit einem goldenen Amulett Behangene endlich ein wenig an seinen Baßsaiten. Pause und ein neuerliches Anheben: „Wenn ein Mensch stirbt, stirbt er und kommt nicht wieder.“ Erneut befingert er sein bauchiges, wenn auch nicht sehr großes Instrument, und dann geht's los.

Helmut „Hellmood“ Nadolski heißt der wunderliche Herr am Baß, der seinen Auftritt so andächtig zelebriert. Er ist ein katholischer Ordensmann, der sich seit zwanzig Jahren dem Traktieren seines Kontrabasses verschrieben hat. Filmmusiken hat er auch geschrieben, zum Beispiel für Kafkas „Der Prozeßs“. „Ein Musiker kann nur einsam sein, wenn er stark ist im psychischen wie im physischen Sinne“, läßt er uns im Info-Blatt wissen. Sein Solo-Konzert im ersten Teil des Abends vor leider nur handverlesenem Publikum versucht dann auch, diesen Anspruch umzusetzen. Von langen, getragenen Figuren, die er mit stoischer Gelassenheit streicht, wechelt er unvermittelt über in eruptives Geschrabbel, fügt verhallte Klangbilder ein, um wieder in expressive Schläge zu münden. Der Meister atmet dabei schwer, beinahe keucht er, während er am dicken Baß-Bauch reißt und zerrt. Schließlich bricht er mitsamt des Instuments zusammen, der Bogen reißt, aber er bricht nicht, und so gehen die ersten dreißig Minuten zu Ende.

Im zweiten Teil, nun mit tätiger Unterstützung des Keyboarders und Elektronikers Kristof Zgraja und bei mehr Licht, gab Nadolski augenscheinlich alles. In perkussiven Mustern trommelten dicke Schweißtropfen auf das Parkett, Freund Zgraja steuerte Sphärisches aus dem Sythesizer bei, und Existenzialist Nadolski schupperte sich von Meeresrauschen über quellende Klänge bis zum unvermeidlichen Crescendo. Irgendwann lief es halt immer darauf hinaus, eine Gelegenheit zu finden, heftig zu werden.

Nach gut einer Stunde reiner Spielzeit war der Priester im Freejazz-Gewand mit dem Thema durch. Erschöpft, aber zufrieden warf er mehrmals kleine Glöckchen am Bande auf den Boden. Auf den Zusammenhang zwischen dem Gebotenem und dem Titel der Veranstaltung soll hier nicht näher eingegangen werden: Requiem für einen Menschen, der noch lebt, aber er muß doch früher oder später sterben. Cool J.F.