Gestern war Frühling — im Café Sand

■ Ein Erlebnisbericht über 50 Minuten Schlangestehen / Wenn die Sonne scheint, ist Bremen keine Stadt am Fluß

Große Wonne! Frühlingsanfang war gestern um 11 Uhr: Das Cafe Sand eröffnete die Saison. Drehte sich die Sielwall-Fähre nicht besonders rasant ans andere Ufer? Der Himmel war eine Stunde ziemlich blau, quadratischer Naturrasen auf die Blößen des Vorjahres gelegt, Platten und Wackermänner frisch vor die Eingänge gepflastert... alles bestens! Und die Menschen kamen und freuten sich auf träge oder aufregende Stunden, die Kinder aufs Sand- und Kriegen-Spielen, die Sonntags-Väter auf zwei streßfreie Stunden, alle auf Kaffee, Eis, Kuchen, Brötchen. Ab 11 Uhr sollte es Frühstück geben zur Eröffnung der Saison. Das ganze Viertel war mit Handzetteln gespickt worden, Anzeigen lachten von Zeitungsblättern herab. Aber: Auf diesen Ansturm war das Cafe schlecht vorbereitet. Was heißt schlecht!

Um 11.40 steht die Warte-Schlange bis zur Tür hinaus und bewegt sich mit ca 50 cm pro zehn Minuten auf den Tresen zu. Dahinter schuften zwei Cafe-Frauen: „WurstundSchinkenodernurWurst??“, fischen gekochte Eier aus dem Topf, stellen Obstalate, Quarks, Kaffebecher auf Tabletts. Dauernd ist was alle. Eine bugsiert ständig schwere Tabletts mit Kaffeegeschirr durch die Menge, Kinder stehn ihr im Weg und lecken hingebungsvoll an ihrem Eis. Ein Baby fällt gerade zwischen Rückenlehne und Sitz nach hinten vom Stuhl. Mütter schleppen Tabletts hinaus. Erdbeerrosa Sahnetorten warten hinter Glas auf ihre Stunde.

Frühlingsanfang! Nach 20 Minuten stellt sich mein Begleiter unter dem Schild „Kalte Getränke, warme Speisen“ an: essen wir eben Bratkartoffeln und warten nur 10 Minuten Schlange. Als er dran ist, kriegt er die volle Wahrheit zu hören: „Gibts nicht, guck mal, wir sind beim Frühstück!“ Noch drei Meter bis zum Frühstückstresen! Vor mir reden Jungs über eventuelle Schwäche-Anfälle, Schlangen und deutsche Einheit. Hinter mir findet eine Frau, man sollte sich geschmierte Brötchen mitbringen und im Gras sitzen. Die Schlange ist längst

Kinder u. Zelt

zur Tür hinausgewachsen. Die Büffet-Frau hat einen stilechten Matrosenkragen an, macht gute Miene zum Spiel und behält möglichst die Nerven, kriegt allerdings langsam rote Stellen im Gesicht. Hinter ihr hängen Cafe-Sand-Fotos mit dem realsatirischen Titel „Die Oase“. Noch 1,50 Meter bis zum Tresen. Umrisse des Angebots sind zu erkennen. Vor mir überlegen die Menschen, ob sie auch Marmelade möchten, und löffeln diese dann, mit Bedacht, in bereitstehende Glasschälchen. Wer dran ist, hat keine Eile! Das Angebot ist über jeden Zweifel erhaben. Dann muß die Schwerarbeiterin hinterm Tresen unterbrechen und erstmal Tassen und Teller stapeln. Außerdem ist der Kaffee alle. Das macht nichts, weil auch die Tabletts alle sind. Da kommt eine Frau mit zwei, vier, sieben Tabletts. Die Wartenden zählen egoistisch durch: Ja, wir sind dabei! „Salat gibts nicht, falls einer dafür ansteht!“ ruft klugerweise die Tresenfrau unter dem Schild „Salate“ zwischendurch mal in die Warteschlange. Vor den kalten Getränken und vor dem Kuchenschalter haben sich inzwischen auch ansehnliche Schlangen aufgebaut. Ich stehe jetzt 50 Minuten. Der Rucksackträger zwei vor mir nimmt gerade die letzten Croissants. Wohin mit dem Müsli? In die Tassen, geht auch. „NurKäseoderauchWurst?“ Ich bin dran!! Ich kriege, was ich will: Ei, Quark, richtig frischen Obstsalat, O-Saft, warme Brötchen, KäseundWurst, Müsli, Marmelade gelb und rot, alles für 12 Mark. Unschlagbar. Draußen knallt die Sonne zum Pulloverausziehen auf hunderte von Gästen. Um 15 Uhr, unvorstellbar, kommt das Kaffeehaus- Orchester noch dazu. Was lernen wir daraus? 1.: das Cafe Sand braucht mehr Personal. 2.: Die Menschen wollen Stadt am Fluß, aber alles fehlt! Wann öffnet das verschlafene Bürgerhaus neben dem rettungslos überlaufenen Ambiente die Terrasse? Wann werden an der Schlachte Spielhöllen zu Promenadencafes?

Susanne Paas / Foto: Falk Heller