Ein gütiger Monarch wird siebzig

■ Hardt-Waltherr Hämer, Professor der Architektur und Institution der Berliner Stadterneuerungsszene, feiert heute seinen Geburtstag/ Der Chef der Stadterneuerungsgesellschaft S.T.E.R.N. steht immer noch voller Energie im Berufsleben

»Los, alle mal herkommen zu den Dias«, ruft Hardt-Waltherr »Gustav« Hämer mit befehlsgewohnter Stimme in die feiernde Runde und klatscht in die Hände: »Uli, du darfst dir eins aussuchen«. Das Panoramafoto von Berlin ist das Abschiedsgeschenk von Gustav Hämer, Geschäftsführer der Stadterneuerungsgesellschaft S.T.E.R.N. und ehemaliger Chef der Internationalen Bauausstellung IBA, aus der S.T.E.R.N. hervorgegangen ist, an den Tiergartener Koordinator Uli Hellweg, der nach Kassel geht.

Hämer selbst denkt noch nicht an Abschied. 70 Jahre wird der weißhaarige, meist schwarzgekleidete stämmige kleine Mann mit den dunklen Augen und dem buschigen Schnurrbart heute alt. Seine Energie hat er bei weitem noch nicht verloren, auch nicht seine Allpräsenz in Berlins Stadterneuerungsszene: Der Architekturprofessor ist Chef einer Stadterneuerungsgesellschaft, die neben ihrem Hauptsitz in Kreuzberg Dependancen in Tiergarten und Prenzlauer Berg hat und ihre Finger nach Mitte ausstreckt. Hämers Kassandrarufe waren immer zu hören, wenn ein Bausenator jedweder Couleur an der Stadterneuerung sparen oder demokratische Verfahren abkürzen will. Die Verzettelung im Detail — vom geräumten Haus bis zum bedrohten Kinderbauernhof — liegt ihm fern, die große Geste ist sein Stil: Fünf Milliarden Mark forderte er per sofort vom Senat, als 1987 in SO 36 die Maikrawalle ausbrachen, um, wie er sagte, die soziale Verelendung Kreuzbergs aufzuhalten.

Der gebürtige Niedersachse Hämer, der mit einer Architektin verheiratet ist und zwei erwachsene Kinder hat, war lange ordentlicher Professor an der Hochschule der Künste, wo er den Forschungsschwerpunkt Stadterneuerung leitete. Dort hat er übrigens von 1947 bis 1952 studiert. Er ist außerdem Vizepräsident der Akademie der Künste. Zuvor fungierte er als Berater zu Münchner Olympiazeiten, entwarf ein Gymnasium in Ingolstadt, das Staatstheater in Wiesbaden, die Kapelle in Ahrenshoop, die Stadthalle in Paderborn, dazu mehrere Wohnhäuser und Siedlungen. Seit vielen Jahren lebt er in Charlottenburg.

Verbunden ist Hämers Name jedoch vor allem mit der Altbau-IBA, jenem Teil der Internationalen Bauausstellung, die geschaffen wurde, die »kaputte Stadt« Kreuzberg 36 zu retten. 1979 vom damaligen, inzwischen verstorbenen Bausenator Harry Ristock (SPD) gegründet, um die Gegenbewegung zur Kahlschlagsanierung einzuleiten, pumpten die IBA und ihre 70 Architekten und Stadtplaner Milliardenbeträge nach Kreuzberg und nahmen außerdem so ziemlich jeden Aktivisten der Stadterneuerungs- und Hausbesetzerszene von SO 36 per Werkvertrag in Lohn und Brot. Das Besondere an der IBA waren jedoch nicht die Tonnen von Steinen und Mörtel, die bewegt wurden, sondern das Verfahren, die von Gustav Hämer immer wieder hochgehaltenen »12 Grundsätze der behutsamen Stadterneuerung«, deren oberster lautet: Stadterneuerung muß mit den und für die dort lebenden Bewohner geschehen.

Dabei ist Gustav Hämer — woher dieser Spitzname rührt, läßt sich nicht mehr ermitteln — eher der Typ eines autokratischen, freilich gütigen Monarchen, der seinen Laden stets eigenverantwortlich über die Klippen des senatsgeförderten Daseins steuerte. Das war auch nötig, denn kaum war die IBA gegründet, kippte der SPD-Senat und die CDU kam ans Ruder mit ihrem — moderaten — Bausenator Ulrich Rastemborski und dem eigentlichen Hardliner im Hintergrund, Senatsdirektor Jens Krause. Schon damals drohten immer mal wieder die Beendigung der IBA, Mittelkürzungen, steigende Mieten und Privatisierungstendenzen, was mit der Amtsübernahme von Rastemborskis Nachfolger Klaus Franke noch zunahm. Zum IBA-Berichtsjahr 1984, als die Ausstellung in der Philharmonie groß gefeiert wurde, protestierte neben trillerpfeifenbewehrten Kreuzberger Kiezbewegten auch der schlitzohrige Gustav Hämer, der sich die Plakette »Internationale Bluff Aktion« an die Brust geheftet hatte. Zu Mitte 1985 kündigte der nun zum Staatssekretär avancierte Krause die IBA und drängte Hämer, eine private Nachfolgegesellschaft zu gründen — ein im Kreuzberger Subventionsdschungel höchst umstrittenes Vorhaben, denn man traute einer privaten Gesellschaft weder die soziale Behutsamkeit noch die kritische Haltung gegenüber dem (fast) alleinigen Geldgeber Senat zu. So stieß es bei IBA-Mitarbeitern denn auch auf erhebliche Verärgerung, als bekannt wurde, daß Hämer im Alleingang eben jene Gesellschaft notariell gegründet und S.T.E.R.N. getauft hatte. Von »Geheimdiplomatie« sprach sogar Hämers Kampfgefährte, der AL-nahe Kreuzberger Baustadtrat Werner Orlowsky, der den Bezirk übergangen sah. Inzwischen hat sich S.T.E.R.N. in aller Behutsamkeit bewährt, wenn auch Hämers Arbeitsstil sich nicht änderte: So betrieb er gemeinsam mit Bausenator Wolfgang Nagel die Expansion von S.T.E.R.N. nach Tiergarten und kritisierte hinterher öffentlich, der Bezirk sei nicht gehört worden.

Hämer ist inzwischen eine Institution in Berlin. Lange im Zwiespalt mit den CDU-Senatoren, ist er nun auch dort anerkannt: Seit dessen Gründung ist er einer der Weisen im Stadtforum Volker Hassemers und verteidigt seitdem den oft als Spielwiese geschmähten Fachleutetreff des Stadtentwicklungssenators, den er für ein wichtiges Forum demokratischer Stadtplanung hält. Aber er kann er sich leisten, darüber zu stehen: Sieben Senate, sechs Bausenatoren und fünf Baustadträte allein in Kreuzberg hat er kommen sehen, keiner war vor seiner Kritik sicher. Wie lange er noch unumschränkter Herrscher von S.T.E.R.N. bleiben wird, fragt sich mancher. Viele jüngere, profilierte Kollegen — Kolleginnen hatten unter Hämer noch nicht die Chance, hochzukommen — haben die Gesellschaft verlassen und sind nach Potsdam, nach Brandenburg oder zum Bausenator gegangen. Heute werden sie sich jedoch wohl alle wieder in der Etage in der Köpenicker Straße in Kreuzberg einfinden, um mit Gustav Hämer zu feiern. Eva Schweitzer