L'art pour l'art, forever old

■ Heute erscheint die 18. LP der Puhdys

Die Puhdys sind zurück. Mit einer neuen Platte. Am heutigen Montag erscheint Wie ein Engel, nachdem der Titelsong schon vorab als Single ausgekoppelt wurde. 1989 hatten die Puhdys beschlossen aufzuhören, weil sie in der DDR »eigentlich alles erreicht hatten«. 17 LPs, über 14 Millionen Mal verkauft bedeutet das in Zahlen. Selbst unter den abgeschotteten Verhältnissen im Arbeiter- und Bauernstaat eine irre Bilanz, ganz zu schweigen von den diversen Orden und Kulturpreisen.

Geld kann es sowieso nicht gewesen sein, was die Herren Dieter Birr, Peter Meyer, Dieter Hertrampf, Klaus Scharfschwerdt und Harry Jeske dazu trieb, es noch einmal zu versuchen. Eher wollten sie es sich wohl selbst beweisen. Und den anderen. Beweisen, daß der DDR-Rock nicht so übel wie sein Ruf ist. Auf der Pressekonferenz klingt das in Birrs Worten so: »Nach der Wende sind viele neue Dinge auf uns zugekommen. Wir dachten, das ist jetzt spannender. Man kam sich vor wie ein Alkoholiker. 20 Jahre war man süchtig, dann Entziehungskur und danach wieder rückfällig geworden.« Daran zu resignieren, haben sie sowieso nie gedacht. Jedenfalls nicht mehr als »jeder andere DDR-Bürger auch, der Existenzängste noch nicht kannte.«

Dieter Birr, genannt »Maschine«, zusammen mit Meyer der Kopf der Band, ist jetzt 47. Das ist ein Alter, in dem man keine Songs mehr schreibt. In dem Alter »arbeitet« man an einer Platte. Die Arbeit für Wie ein Engel begann letzten September, davor war man nur sporadisch und auf besondere Einladung das eine oder andere Mal aufgetreten. Geholfen haben — vor allem bei den Texten — wieder alte Bekannte: Werner Karma und vor allem der in den Westen abgeschobene Gerulf Pannach, vormals bei Renft.

Die Musik ist wie immer vom Team Birr/Meyer, aufgenommen wurde im Studio Birr/Meyer, produziert von Birr/Meyer. Personelle Kontinuität ist also garantiert, Innovation gar nicht gewollt. Birr: »Wenn ich mir 'ne Platte von den Puhdys kaufe, will ich original Puhdys hören. Das Beste an einer Band oder überhaupt an einem Künstler ist, wenn man ihn vom ersten Ton an erkennt. Die neuen Sachen müssen von unten kommen, von den jungen Musikern.« Fragt sich dann, warum man ausgerechnet Wie ein Engel und keine von den anderen 17 Puhdys-Platten erwerben sollte. Nur, weil die Band sich »die größte Mühe gegeben« hat? Oder weil man immer noch ein Stück Ost- Identität repräsentiert? »Natürlich«, meint Birr trocken.

Deswegen hat man auch keine Vorstellungen, wie oft die 18. LP über den Ladentisch wandern wird. 50.000 Stück hat sich die Deutsche Schallplatten GmbH vorgenommen, aber alle wollen natürlich mehr verkaufen. Auf die Frage nach möglichen englischen Texten, fängt Birr gar an, von »internationalen Märkten« zu träumen und verweist auf die in London aufgenommene LP Far from Home, auf der die Puhdys Ende der Siebziger ihre Hits noch einmal in englischer Sprache einspielten. Die Insel wurde nicht gerade erschüttert.

Die Puhdys sind ohne die deutschen Texte auch gar nicht denkbar. Gerade weil sie die perfekteste Ausformung des damals offiziell verordneten Rockformats ablieferten. Da gab es auf der einen Seite den Druck, nichts zu sagen, was nicht gesagt werden durfte, auf der anderen, den Anspruch, künstlerisch hochwertige, poetische Worte aneinanderzuheften. Das führte — nicht nur bei den Puhdys — zu einem schweren Symbolismus. Anders als zum Beispiel Pankow, die dem Druck auswichen, indem sie sich Alltagsthemen zuwandten, verspürten Birr und Genossen den Drang, Wichtiges zu sagen, ohne anzuecken. Das leierte die verwendeten Symbole so weit aus, daß sie nur noch für sich selbst stehen konnten. Wie Graffitis: Das Zeichen bedeutet nichts mehr außerhalb des unmittelbaren Sinnzusammenhangs, besitzt nur noch Verfasserreferenzen. Wenn Birr vom Leben singt — und das macht er oft — tut er es so allgemein, daß seine Sätze keine Bedeutung außerhalb des Puhdys-Universums mehr annehmen können: »Mein Leben ist wie ein Spiel/ Mein Leben ist mal so oder so.« Birr denkt und singt zuviel in den großen Begriffen wie eben »Leben«, verliert dabei den Blick für die kleinen Nebensächlichkeiten, und genau deshalb sind Wie ein Engel und nahezu alle anderen Puhdys-Platten hoh(l)e Poesie. L'art pour l'art.

Musikalisch hat sich sowieso nichts verändert. Am deutlichsten wird dies bei der Neuaufnahme von Wenn ein Mensch lebt, dem Titelsong des DEFA-Streifens Die Legende von Paul und Paula. Wenn ein Mensch lebt ist und bleibt der beste Puhdys- Song, weil der Text (er stammt von Ulrich Plenzdorf) sperrige Worte sperrig aneinander reiht und sie so wirken läßt. Die Musik der Puhdys gab dem genau den richtigen Rahmen: ein träger Stampfrhythmus, von den Tasten unterstützt, klotzt das Lied daher, so wie die Abrißbirnen im Film. Die neue Version demonstriert nur eine gewisse Souveränität im Umgang mit der fortschrittlicher gewordenen Studiotechnik. Das war's. Wo Puhdys draufsteht, ist halt auch Puhdys drin.

Der Rest der Pressekonferenz versank dann in alten Geschichten, die vor allem Birr unter seinem Schnurrbart hervorberlinerte. Von der in der Sowjetunion in nur 17 Stunden auf zwei Spuren aufgenommenen Platte: »Die hat nicht so gut geklungen, dafür war das Cover aus Butterbrotpapier.« Vom verordneten Ersetzen des »Yeah« durch ein simples »Ja«. Vom Hebel an der Fender, der während des Auftrittes nicht verwendet werden durfte, weil er zu amerikanisch war. Und, und, und...(to be continued...)

Thomas Winkler

Puhdys: Wie ein Engel, Deutsche Schallplatten GmbH Berlin 3034-2