Die Wüste lebt

■ »der Sch-Ritt über die Sahara« — afro-orientalischen Tanzshow im Saalbau Neukölln

Eine Wüste trennt die Völker Nordafrikas, die größte Wüste der Welt. Und doch spinnen sich zarte Bande der Verwandtschaft über dieses von der Sonne verbrannte Land aus Sand. Sch-Ritt über die Sahara ist der etwas verwirrende Name der afro-orientalischen Show, die am Freitag im Saalbau Neukölln Premiere hatte. Der Titel überläßt es dem Zuschauer, eine Antwort auf die Frage zu finden, ob die Distanz von der afrikanischen Westküste bis in das ferne Morgenland mit gutem Schuhwerk zu bewältigen ist, oder ob man doch besser die Kamele sattelt. Dabei liegen zwischen Dakar im Senegal und Riad in Saudiarabien mehr Luftlinienkilometer als zwischen Lissabon und Moskau.

Schon der Veranstaltungsort scheint ein Importprodukt aus dem Morgenland zu sein: der Saalbau Neukölln, eine Kastenform mit vielen Seitenflügeln, ganz in sonnenabweisendes Schneeweiß getaucht und mit majestätischer Ausstrahlung. Als im pompösen Veranstaltungsaal der Vorhang fällt, sitzt dort eine siebenköpfige arabische Band unter dem weißen Halbmond, durchweg (bis auf die Keyboards) mit traditionellen arabischen Instrumenten bestückt. Zu den Klängen von Oud und Ney, dem arabischen Pendant zu Gitarre und Flöte, winden sich zwei dunkelblaue Schlangenleiber im hautengen Pailletenkleid und balancieren dabei souverän einen weitverzweigten Kronleuchter auf dem Haupte. Von der flammenden Pracht zu langsamen Bewegungen gezwungen, zeigen Sylke und Katharina Joumana Meisterstücke ihrer Kunst. Bauchnabel, Becken, Brust, Hals und Kopf — alles zusammen ergibt den Körper einer Bauchtänzerin. Und doch scheinen die Glieder eine voneinander unabhängige Existenz zu führen. Ein stetes Trommelfeuer ergeht aus dem Halbrund der Musiker, konzentriert sich in die Bühnenmitte. In den Leibern der Tänzerinnen wird es zum heftigen Zittern — als setzten die Klänge sie unter Strom.

Die arabische Tonleiter mit ihren 24 Ganz-, Halb- und Vierteltonschritten klingt für das europäische Barbarenohr gelegentlich wie das stufenlose Auf- und Abschwellen einer Sirene, so daß sich bei den Instrumentalstücken ein wenig Ermüdung breitmacht. Zum Abschluß des orientalischen Showteils beweisen die beiden (aus Deutschland stammenden) Schönen der Nacht, daß auch sie der Geheimnisse arabischer Rhythmen mächtig sind. Im Wechsel mit dem Tablaspieler Sayed Balaha, dem exzellenten Solotrommler der Truppe, lassen sie die Schellen sprechen, die sie wie Kastagnetten zwischen den Fingern halten.

Mit Stockschlägen auf die senegalesische Sabra und aufwühlenden Djembe-Grooves zielen anschließend die afrikanischen Trommler direkt in die Magengrube, reißen die Zuschauer aus der orientalischen Versunkenheit. Der Tänzer Mamadou M'Baye robbt sich aus einem strohgedeckten Kral und zeigt 24 Stunden Alltagsleben im Senegal. Seine Bewegungen sind von einer Selbstverständlichkeit und Anmut, daß man sich zu einem verklärten Afrikabild verführt sieht. Dem Wissen um Aids, wirtschaftliche Katastrophen und den Niedergang des alten Sozialgefüges zum Trotz: hier steht eine heile Welt auf der Bühne. Der Tanz scheint noch ein Ausdruck innerer Freude zu sein, Perfektion das Ergebnis von Ekstase statt harter Körperarbeit. Die Zivilisation scheint diese ferne Küste verschont zu haben, um uns Zeugnisse eines unverdorbenen Menschenbildes zu liefern. Im Vergleich wirkt der Bauchtanz wie ein Kunstprodukt mit kalkulierter Erotik und Lächeln als Disziplinierungsmaßnahme.

In dieser Spannbreite liegt aber gerade der Reiz des Abends. Wenn im gemischten Showteil die Djembe zum Duell mit der Table antritt und Katharina und Sylke mit Mamadou gemeinsam tanzen, hat der zuschauer die ethnologische Forscherbrille auf der Nase, wagt den kulturellen Vergleich am schwarz-weißen Muskelspiel. Das ist spannend und nebenbei auch sehr ästhetisch. Etwas haarig wird's allein, wenn die Damen sich an Schaupielerisches heranwagen. Die Nummer mit den Muselmaninnen am Brunnen ist schlichtweg schlecht. Ein mit Wasser gefüllter Tonkrug ist schwer, und wenn dessen Plastikimitation leichthändig herumgeschwenkt wird, wirkt das ziemlich desillusionierend.

Nichtsdestotrotz, die Show macht Spaß und Lust auf mehr. Die Idee eines kulturübergreifenden Tanz- und Musiktheaters ist geschickt umgesetzt. Vor allem die beiden Tänzerinnen sind zu loben, die sich so weit auf afrikanisches Territorium vorgewagt haben. Jantje Hannover