Trockenes Anglerglück

■ Beim Casting lachen sich die Fische ins Fäustchen Ein Hochleistungssport für bescheidene Menschen

Berlin. Die Angler gehören zu den glücklichen Menschen auf Erden. Inmitten friedlicher Natur sitzen sie, am Rande eines munter dahinplätschernden Flüßchens, am Ufer eines schweigsamen Sees in der Morgendämmerung. Lassen die Angel ins Wasser baumeln und hängen ihren Gedanken nach. Nur wenn ein Fischlein am Haken zappelt, schrecken sie auf. Erquickt und innerlich gestärkt, kehren sie aus der freien Natur in den Kreis ihrer Lieben zurück.

Beim Casting ist alles ein wenig anders. „Wir würden ja gerne mal angeln gehen“, seufzt Bundestrainer Kurt Klamet, „aber man kommt einfach nicht dazu.“ Längst ist das Turnierangeln ein anerkannter und geförderter Hochleistungssport. Die Athleten trainieren fünfmal in der Woche, vor wichtigen Turnieren auch mehrmals täglich. Viel brauchen sie nicht zu ihrem Glück. Eine Zielscheibe, Angel und Köder; einen kühlen Kopf, eine ruhige Hand und einen kräftigen Wurfarm. Der Köder an ihrer Angelschnur wird nach Punkten und Pokalen ausgeworfen.

Schon sirrt die Fliege ab durch die Mitte, verhält kurz in der Luft, um dann kräftig einzutauchen. Nun kurbelt der Caster wie besessen, um die Fliege wieder in die Ausgangsstellung zu bringen. Das ist eigentlich schon alles, und mutet beim ersten Hinsehen durchaus absonderlich an. Da sich jedoch hinter so mancher exentrischen Beschäftigung eine stille Wahrheit verbirgt, treten wir hier ruhig einen Schritt näher. Unser Interesse ist ja nicht minder bizarr: wir sind hier die einzigen Zuschauer.

Zum größten Casting-Turnier der Welt trifft sich die europäische Elite in Halle 25 des Berliner Messegeländes, 113 Teilnehmer treten an, aus Österreich und Ungarn, Bulgarien und der ČSRF, aus der Schweiz und den skandinavischen Ländern. Allesamt nette, umgängliche Menschen in Jogginanzügen, die auch in den Pausen an ihren Angeln hantieren. Die fünf Disziplinen, bei Weltmeisterschaften können es auch mehr sein, werden in aller Ruhe durchgeführt. Zielwerfen und Weitwerfen, einhändig oder beidhändig, einzeln oder kombiniert; ins Schwitzen kommen sie jedenfalls nicht. Die riesige Halle ist vom leisen Schwirren der Angelschnüre erfüllt, kaum hörbar das Eintauchen der Fliegen in das Ziel der Wasserpfützen. Eine herrlich entspannte Atmosphäre, die auch uns die Hektik der Großstadt vergessen läßt. Unter freundlichen Menschen bewegen wir uns, wechseln hier und da ein Wort, grüßen mit stillem Einverständnis. Kinder spielen artig im Hintergrund, junge Damen geben einem einsamen Pressefritzen ein galantes Interview. So ruhig kann die Welt sein, so still und friedlich. Ganz selten bricht ein Fluch in die harmonische Stimmung ein, wenn ein hitziger Bulgare sein Soll nicht erfüllt hat.

Wir haben es hier mit einer altehrwürdigen Sportart zu tun. Bereits 1864 soll in New York das erste Wurftunier stattgefunden haben. 1923 wurde das erste »Deutsche Wurfturnier« in Berlin ausgetragen. Man trifft sich mehrmals im Jahr, um im edlen Wettstreit die Kräfte zu messen und die Besten zu ermitteln. Olympische Meriten werden die Caster wohl nie erlangen, zu wenig mediengerecht und zuschauerfreundlich ist ihre Tätigkeit. Auf 30.000 schätzen sie hier die Zahl der deutschen Caster, und es werden täglich mehr. Die Seen kippen um, die Flüsse wachsen zu, die Fische sterben aus. Insofern ist das Casting die Sportart der Zukunft. Olga Ó Groschen