Soldaten drücken die Schulbank

■ In Wünsdorf bei Berlin begannen die ersten Kurse eines von Bonn finanzierten Umschulungsprojektes für GUS-Soldaten

Wünsdorf. Die sozialistischen Sprüche, geprägt in rotes Plastik, sind nicht ganz verschwunden. Draußen im Gang des ehemaligen Wehrmachtskasinos, das zum südlich von Berlin gelegenen Hauptquartier der GUS-Westtruppen Wünsdorf gehört, hängen sie noch an der Wand. In der Offizierskantine rechnet die Kellnerin ganz traditionell mit Holzkugeln. Im Saal 43 aber stehen zehn Computerterminals und der Ostberliner Schulungsleiter Harry Ebert, der Armeeangehörigen in zweimonatigen Kursen die Gesetze der Marktwirtschaft und Computerwissen vermitteln wird — auf russisch natürlich.

Seit vergangener Woche büffeln die in Wünsdorf lebenden GUS-Soldaten und auch deren Familienangehörige westliches Know-how. Dort starteten die ersten beiden Pilotkurse eines von der Bundesregierung finanzierten Umschulungsprogrammes für Armeeangehörige in den neuen Bundesländern.

Was keiner seiner erwachsenen Klassenkameraden zugeben mag, sagt schließlich der 14jährige Stanislaw: »Ich weiß, daß die Chancen schlecht sind, zu Hause in Weißrußland Arbeit zu finden.« Offizierssohn Stanislaw sitzt mit einem Freund vor einem noch leeren Bildschirm, der sich gleich mit den ersten EDV-Übungen in kyrillischen Buchstaben füllen wird.

Im Laufe des Monats beginnen rund 200 Soldaten die Kurse in Marketing, Buchhaltung und Rechnungswesen, um bei ihrer Rückkehr in die GUS-Republiken bessere Berufschancen zu haben. Bis Juni soll das Schulungsprojekt in 26 Garnisonen der früheren Roten Armee in den neuen Bundesländern voll in Schwung sein. Und bis zum Ende des Truppenabzugs 1994 sollen 10.000 Armeeangehörige die Schulbank in den Westkasernen gedrückt haben, erklärt Matwej Burlakow, der Chef der Westgruppe der GUS-Truppen. Derzeit halten sich noch etwa 280.000 der früher 550.000 ehemaligen Rotarmisten und Familienangehörigen in den Kasernen auf.

Das Umschulungsprogramm ist zum großen Teil für Soldaten gedacht, die nach ihrer Rückkehr in ihre Heimat aus der Armee entlassen werden und beruflich vor dem Nichts stehen, so sieht es der Bonner Abzugsvertrag mit der damaligen sowjetischen Regierung vom Herbst 1990 vor. Auch Familienangehörige sollen an der Umschulung beteiligt werden. Bonn zahlt 200 Millionen Mark für die Kurse, rund 23 Millionen Mark werden davon für den Marketingunterricht in den neuen Bundesländern verwendet, der große Rest soll für den Aufbau von Schulungszentren in vier GUS-Republiken dienen. Es war weniger eine Spendierlaune der Bonner, die Umschulung zu finanzieren, als vielmehr eine Gegenleistung für das vertragliche Versprechen der damaligen sowjetischen Regierung im Herbst 1990, die Truppen bis 1994 vollkommen abzuziehen.

Laut Abzugsvertrag finanziert die Bundesregierung mit 7,8 Milliarden Mark ein Wohnungsbauprogramm für zurückgekehrte Armeeangehörige in den GUS-Republiken. »Unser Interesse ist es, mit dieser finanziellen Unterstützung den Wandel in der ehemaligen Sowjetunion mitabzufedern«, sagt Franz Bertele, der Bonner Beauftragte für den Abzugsvertrag. Es sei wichtig, so Bertele, die Chancen von Menschen zu verbessern, die ohnehin genug Schwierigkeiten hätten, sich wieder in die Gesellschaft ihrer Heimat einzugliedern.

Die wirtschaftliche Situation in den GUS-Republiken ist nicht nur für die Heimkehrer wenig aussichtsreich. »Die Lage ist schlecht«, sagt der GUS-Fachmann Ulrich Weißenburger vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Betriebe schließen aus Mangel an Material, die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Republiken seien zusammengebrochen. In diesem Jahr werde allein in Rußland die Zahl der Arbeitslosen auf 15 bis 20 Millionen steigen, schätzt Ulrich Weißenburger. Nicht nur an Arbeitsplätzen, auch an Wohnungen fehlt es den zurückkehrenden Armeeangehörigen.

Swetlana Schulikowa aus Moskau hat sich an ihrem ersten Schultag fein gemacht: rote Kostümjacke mit Brosche, weißes Sommerkleid. Der Gedanke an die Rückkehr stimmt sie nachdenklich. Derzeit ist sie Hausfrau in der Wünsdorfer Kaserne, in Moskau hatte sie als Programmiererin gearbeitet — »aber unsere Computer hatten ein viel niedrigeres Niveau.« Sie hofft, mit dem Schulungskurs bessere Chancen zu haben, »ob ich dann Angebote bekomme, wird man sehen.« Corinna Emundts