Schwebezustand in Irakisch-Kurdistan

■ Saddam Husseins Luftwaffe dehnt Einsatzgebiet aus/ Verstoß gegen UN-Resolution/ US-Regierungsberater warnt in einer Empfehlung vor einem Engagement auf seiten der Kurden

Kairo/Berlin (taz) — „Sehr ominös“. Diese Worte wählte der US-Sicherheitsberater Brent Scowcroft am Sonntag, als er sich zu den irakischen Militäraktivitäten im Norden des Landes äußerte. Irakische Soldaten hatten in den letzten Tagen nördlich des 36. Breitengrades Luftabwehrraketen aufgestellt. Dies widerspricht einer Resolution des UN-Sicherheitsrats nach dem Ende des Golfkrieges, mit der irakischen Militärs untersagt wurde, oberhalb dieser Linie zu operieren. Kurdische Beobachter berichteten dieser Tage gar, sie hätten in unmittelbarer Nähe der kurdisch kontrollierten Zone irakische Scud-Raketen gesichtet.

Seit einer Woche überfliegen irakische Kampfflieger das kurdisch kontrollierte Territorium. Offiziell werden die Flüge von Bagdad als Sicherheitsmaßnahme nach dem Angriff iranischer Kampfflugzeuge gegen ein Lager der oppositionellen iranischen Volksmudschaheddin nordöstlich von Bagdad begründet. Die Alliierten befürchten aber, die irakischen Kampfflugzeuge und vor allem die Flugabwehrraketen könnten gegen UN-Flugzeuge eingesetzt werden, mit denen Inspektoren nach versteckten irakischen Massenvernichtungsmitteln suchen. Nach Bagdader Auslegung könnten die Flüge zu „unglücklichen Zwischenfällen“ führen. Auf diese kaum verklausulierte Drohung reagierte Scowcroft am Sonntag mit der Erklärung, bei Behinderungen der Patrouillenflüge würden die USA einen „Militärschlag“ nicht ausschließen.

Die Kurden im Nordirak leben derzeitig in einem gefährlichen Schwebezustand. Täglich kommt es zu kleineren Gefechten zwischen Peschmergas und irakischen Militärs. Kurdische Führer der beiden großen Parteien besänftigen ihre Anhänger, die irakische Truppen planten dieser Zeit keine Großoffensive gegen die Kurden. Vielmehr versuche die Bagdader Führung, durch militärische Nadelstiche die nun für den 17. Mai angesetzten Wahlen zu einem kurdischen Nationalrat im Nordirak zu erschweren. Unter den Kurden hält sich auch die Version, Saddam Hussein habe seine Truppen aus Angst vor einem Militärputsch aus der unmittelbaren Umgebung seines Bagdader Präsidentenpalastes in den Norden verlegt.

Bedenklich wird die Situation für die irakischen Kurden spätestens ab dem 30. Juni. Dann sollen die in der Türkei stationierten Truppen der Alliierten abgezogen werden. Bisher bilden die alle zwei bis vier Stunden demonstrativ über den Nordirak hinwegdonnernden britischen, US- amerikanischen und französischen Jagdflugzeuge noch den wirksamsten Schutz gegen eine irakische Bodenoffensive. Kurdische Appelle an Frankreich, Großbritannien und die USA, den Aufenthalt der Truppen in der Türkei zu verlängern, blieben bisher ohne befriedigende Reaktion.

Beunruhigen dürfte die Kurden eine dieser Tage bekanntgewordene Empfehlung, die ein hochrangiger Militärberater der US-Regierung schon im vergangenen Herbst zum Thema Kurdenpolitik verfaßte. Darin wird der US-Regierung dringend empfohlen, sich aus ihrem Engagement in Irakisch-Kurdistan zurückzuziehen. Die Kurden werden als „unregierbares Volk“ beschrieben.

Die in der ganzen arabischen Welt gelesene libanesische Tageszeiung 'Al-Hayat' veröffentlichte vergangene Woche Auszüge aus dem Papier. Laut der Zeitung gibt der Autor der Empfehlungen, Dr. Stephan Pelethier, Spezialist an der Militärakademie des US-Militärs, zwar keine offizielle Regierungsmeinung wieder. Er diente der Bush-Administration aber schon im Golfkrieg als exklusiver Berater und gilt als der US- amerikanische Kurdenspezialist. Laut 'Al-Hayat' ist es erklärtes Ziel der Empfehlungen, „die Gefahren aufzuzeigen, die den USA drohen, falls sie sich auf eine Zusammenarbeit mit den Kurden einließen“. Die amerikanischen Beamten, die mit der Kurdenpolitik betraut wären, würden die „Natur der kurdischen Gesellschaft“ nicht kennen. So würden „Kurden zur Gewalt neigen“ und seien „nicht friedensfähig“. Eine Unabhängigkeit der Kurden vom Irak würde zu Chaos und Stammeskriegen führen und letztendlich zum militärischen Eingreifen der Türkei und daraufhin auch des Irans führen. Laut 'Al-Hayat' hat der Regierungsberater Pelethier bereits ein Buch zu der Thematik veröffentlicht — mit dem Titel: „Die Kurden: Ein Faktor der Instabilität am Persischen Golf“. Die Zeitung zitiert einen anonymen hochrangigen US-Regierungsbeamten, demnach Pelethiers Empfehlungen sowohl im US-Verteidigungsministerium als auch im Pentagon auf großes Interesse gestoßen seien. taud/ilü