Sonys Fall vom Paradies in die Hölle

Der japanische Elektronikgigant ist erstmals in seiner Geschichte in die Verlustzone gerutscht/ Die für Nippons Wirtschaft typische Konzernstrategie „immer mehr und immer billiger“ zieht nicht mehr  ■ Aus Tokio Georg Blume

Take a Sony — seit der Firmengründung vor 45 Jahren hat der japanische Elektrogigant einen Hit nach dem anderen produziert. Doch die Erfinder des Walkmans scheinen sich mit ihrer riskanten Unternehmenspolitik übernommen zu haben. Mit Verlusten, Fehlinvestitionen und Schulden ist ausgerechnet der Aufsteiger Sony ins Zentrum der japanischen Wirtschaftskrise gerutscht.

Sony erwartet für das Ende März abgeschlossene Geschäftsjahr 1991/92 einen operativen Verlust von rund 250 Millionen Mark — ein Novum in der Firmengeschichte. „Natürlich verkaufen sich audiovisuelle Produkte nicht mehr so wie früher“, begründet Sony-Vizepräsident Tsunao Hashimoto das Jahresdefizit, „aber auch die Hausse des Yens und die immer schärfere Konkurrenz sind wichtige Faktoren.“ Im Finanzjahr zuvor hatte Sony noch Gewinne über 922 Millionen Mark verbucht. Die Wirtschaftszeitung 'Toyo Keizai‘ diagnostizierte für den Elektroriesen prompt „einen Fall vom Paradies in die Hölle“.

Schuld daran ist vor allem der Einbruch im Video- und Fernsehgeschäft. In Japan verkauften sich 1990 noch zwei Millionen Videokameras, 1991 nur noch 1,6 Millionen Geräte. Sony blieb auf dem Videomarkt zwar die Nummer eins, doch schrumpfte der Marktanteil des eigenen 8-mm- Modells durch das VHS-C-Konkurrenzprodukt von Matsushita/Victor um zehn auf 50 Prozent zusammen. Das VHS-C-Modell bietet den Vorteil, daß die VHS-C-Kassetten sich mit einem Adapter in jedem VHS- Videorekorder abspielen lassen. Sony war in den siebziger Jahren mit seinem Beta-Cam-Videorekordermodell schon einmal der Matsushita- VHS-Konkurrenz unterlegen.

Sony leidet zudem unter der Hausse des Yen. Die Exportrate der von Sony in Japan hergestellten Produkte liegt mit 65 Prozent weit höher als beim Hauptkonkurrenten Matsushita, der nur 35 Prozent ausführt. Auch hat sich Sony mit den Ankäufen von CBS und Columbia Pictures finanziell übernommen. Die Kapitalinvestitionen beliefen sich von 1987 bis 1990 auf stolze 15,36 Milliarden Mark. „Mit den hohen Investitionen in den letzten drei Jahren“, meint Planungsleiter Sumio Sano, „ist bei uns ein Investitionszyklus zu Ende gegangen.“ Im diesem Jahr will Sony die Kapitalinvestitionen um 36 Prozent auf 3,6 Milliarden Mark zurückschrauben. Weil es an neuen Produkten mangele, analysierte die Wirtschaftszeitung 'Toyo Keizai‘, würden sich die Verluste verewigen, wenn Sony weiter wie bisher investiere.

Ein Ende der jetzigen Absatzkrise ist erst wieder mit der Masseneinführung des HDTV-Fernsehens absehbar, die in Japan frühestens für 1995 vorausgesagt wird. In diesem Herbst kommt Sony möglicherweise wieder mit einem Publikumserfolg auf den Markt: der CD-Mini-Disc zum Selbstaufnehmen. Ein Lichtblick in der Sony-Bilanz sind die Einnahmen aus Software-Verkäufen. Die Krise in der Elektronikindustrie ist nämlich fast ausschließlich eine Hardware-Krise. Schon für dieses Finanzjahr soll die Sony-Software-Produktion ein Gewinnanteil für das Gesamtunternehmen von über 40 Prozent erwirtschaften.

Der japanische Technologiekritiker Yukio Shimura von der Unternehmensberatungsfirma Kogyo Chosakai erkennt in der Sony-Krise ein „High-Tech-Syndrom“. Die Produkte der Elektronikindustrie seien mit zu vielen unnützen Funktionen überladen, analysiert Shimura, der deshalb gerne von einem „Barock-Stil“ spricht. Umfragen der Hersteller hätten ergeben, daß Verbraucher heute vor allem eine Vereinfachung der Geräte wünschten. Die Produktion im „Barock- Stil“ hat zu einer Kurzlebigkeit der Produkte geführt: Durchschnittlich benötigt Sony für die Entwicklung eines Produkts sechs Monate, dann wird es drei Monate lang hergestellt und nur drei Monate lang verkauft. Anschließend folgt die nächste Produktgeneration. Sony-Mitbegründer und Konzernchef Akio Morita hat die Probleme dieser Produktionsmethoden offenbar erkannt. Der Strategie des „immer mehr und immer billiger“ will Morita eine neue Qualitätsstrategie entgegensetzen: „Unsere Produktentwicklung“, verkündet der Chefdenker, „zielt nun auf die Entwicklung von Produkten mit höherem Mehrwert und längerer Lebensdauer.“