Fels oder Sand

■ Eugen Drewermann sprach in der Urania zu seiner bibelkundigen (Fan)Gemeinde

In der ansonsten eher beschaulichen Urania geht es zu wie im Audimax zu Zeiten von »Tunix«: Gewühl und Büchertische mit Drewermanns Werken — und das sind nicht wenige. Vielleicht liegt es an der Uhrzeit — es ist früher Abend —, vielleicht am Phänomen Drewermanns selbst, daß diejenigen besonders zahlreich erschienen sind, die sonst in dieser Gesellschaft nichts zu sagen haben: Junge oder Alte und ganz viele Frauen. »Bitte rücken sie zusammen«, hält der Saalschutz die Besucher an: So voll wie hier ist es in der Kirche nicht mal mehr zu Weihnachten, obgleich die Stimmung im Saal eher an eine Versammlung einer modernen Protestpartei erinnert: Denen zeigen wir es jetzt mal! Eine Dame weiß, daß sich die katholische Kirche wie ein SED-Führungskader vor der Wende verhält, nämlich unfähig zur Erneuerung.

Dann tritt er ans Mikrophon, doch er wirkt ganz anders als ein Held: Eugen Drewermann — wie immer in lässigem Pullover gekleidet, der an ihm wie dreimal mit Sanso gewaschen wirkt — ist nicht der Typ des Helden. Er redet viel eher wie ein Märtyrer. Ganz ruhig, mit hoher Stimme, in freier Rede, ohne zu stocken; nur manchmal verändert er seinen Tonfall, wird hitzig oder nachdenklich. Immer jedoch bleibt er kontrolliert, als habe er in langen Jahren lernen müssen, sich zu beherrschen, ohne damit seine Wirkung zu verfehlen.

Sein Thema ist die Bergpredigt, für ihn eine der lyrischsten Stellen des Neuen Testaments. Die Bergpredigt, so Drewermann, lebe gerade davon, daß hier keine neuen Gesetze postuliert werden, denn alle menschliche Ordnung beruhe immer auf dem gleichen Prinzip: Haben und Können. Und wer nichts kann, der fällt durch das Raster — wie heute die Dritte Welt. Eine Gegenordnung also, und keine für die Ewigkeit.

Gerade die Bergpredigt rede vom Hier und Jetzt, davon, daß es fast schon zu spät sei, schon zu spät war, als Jesus diese Worte sprach. Jetzt oder nie! Und was hat die Kirche daraus gemacht? — Sie hat die Bedeutung der Bergpredigt immer weiter heruntergeschraubt, zum Kann für Kleriker, aber nicht zum Gebot für alle Christen. Damit, so Drewermann, baue sie auf Sand, statt auf den Fels, auf dem sie zu stehen immer noch vermeine. Von der heilenden Botschaft der Bergpredigt sei in der offiziellen Kirche nichts mehr übriggeblieben; und wer will heute weinen: »Selig sind die Weinenden.« Das sind nicht die Politiker, die auch noch stolz darauf sind, ihre Weltordnung an Unschuldigen zu exekutieren — siehe den Golfkrieg —, vielmehr komme es darauf an, die Bergpredigt auch psychoanalytisch zu sehen, das Weinen zuzulassen und damit eine neue Menschlichkeit zu begründen. So werde tagtäglich in der Kirche struktureller wie chronischer Verrat an den Worten Jesu verübt, und das einzige, was dagegen helfe, sei, für sich ein Stück »geradeaus« zu leben.

Die Zuhörer sind beeindruckt, auch wenn sie dachten, es ginge nicht so sehr um sie selber als gegen die katholische Amtskirche. Ändern müssen sich erst mal die anderen, die Bischöfe und Kardinäle — aber muß der Wandel gleich so extrem sein wie im Fall Drewermann?

Solange er als ihr Kronzeuge gilt, wird diese Frage hintangestellt. Drewermann sei ein Utopist, und das wisse er selber auch, sagt eine Zuhörerin, während ein männlicher Gläubiger zu bedenken gibt, daß die in der Dritten Welt ohne uns wahrscheinlich schon lange gar nichts mehr zu essen hätten.

Das Volk — es hört zwar den Propheten, doch seine Botschaft versteht es nicht. Will sie nicht verstehen. Solange das Haus auf dem Sand noch bequemer ist als das auf dem Fels, werfen wir zwischendurch etwas Sand ins Getriebe, um zu spüren, das es mehr als ein Nichts ist, auf dem es gebaut wurde. Und so lange halten wir uns einen Drewermann — Geh du voran! —, der als Jelzin der Kirche vorgeschickt wird, um Bodenproben zu entnehmen: Es knirscht gewaltig, aber es geht noch. lue