Die Spur der Steine führt zum Anfang

■ Die Ostberliner Beschäftigungsgesellschaft »Initiative Telematik« versucht, auf eigenen Füßen zu stehen/ Treuhandpolitik und lokale Bürokratie verzögern die Vorbereitung auf die Marktwirtschaft

Köpenick. Wer die »Initiative Telematik« telefonisch erreichen will, muß Geduld haben. Denn die Ostberliner Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft (BQG) in Oberschöneweide verfügt nur über zwei Telefonanschlüsse. Da kann es dauern, bis der Anrufer durchgekommen ist. Am besten geht es noch gegen sieben Uhr morgens, ein für Ostberliner durchaus üblicher Arbeitsbeginn. Dabei hat sich die Initiative zum Ziel gesetzt hat, »alle Arten von Telekommunikation« zu betreiben, wie der Vorsitzende Gerhard Peter erzählt. Unter anderem soll das Angebot BTX, Mail-Box, Softwareberatung, Datenbankrecherche umfassen. Auch der Anlagenbau, etwa im Bereich von Klingelanlagen und der Verlegung von Leitungen, ist langfristig vorgesehen. Derzeit bemüht sich Peter um weitaus profanere Dinge. Etwa, weitere vier Anschlüsse für das Bürogebäude an der Wilhelminenhofstraße zu bekommen. »Aber gehen Sie mal zur Post, da sitzen dann wieder Leute und sagen: schwierige Sache, schwierige Sache.« Der 61jährige Peter kämpft seit gut drei Monaten darum, die BQG, wie er sagt, »endlich arbeitsfähig zu gestalten«. Die Zeit drängt, schließlich soll am 24. April in den renovierten Räumen die Arbeit aufgenommen werden. Die ersten Fühler sind schon ausgestreckt und reichen selbst in die GUS-Staaten, wo Mitarbeiter alte Kontakte beleben.

Peter ist ein umtriebiger Mann und entspricht so gar nicht dem Klischee des gedrückten und frustrierten Ostdeutschen. Sein Terminkalender ist eng beschrieben, denn neben der Arbeit als Vorsitzender der Initiative ist er auch noch Betriebsratsvorsitzender bei der »Entwicklungsgesellschaft für Nachrichtentechnik«. Als der Stuttgarter Konzern »Standard Elektrik Lorenz« (SEL) den Ostberliner Betrieb im vergangenen Sommer zu hundert Prozent übernahm und begann, die Zahl der damals noch 560 Beschäftigten um 200 zu reduzieren, entschloß sich Peter mit zwei anderen Mitarbeitern, die Initiative ins Leben zu rufen. Ein Verein wurde als Träger der BQG gegründet, und nach einem »irrsinnigem Kraftakt« 30 ABM-Stellen durchgeboxt.

Sach- und Personalmittel in Höhe von 500.000 Mark stellten der Senat und das Arbeitsamt Lichtenberg zur Verfügung. Peters Ziel ist es, »so schnell wie möglich auf die gewerbliche Strecke zu kommen«. Denn, so Peter, »ABM ist ja noch so etwas wie ein Sozialfall und da möchte ich nicht dabeibleiben, denn wir wollen und wir können was leisten.« Peter, dem Kopf und der Seele der Initiative, schwebt vor, »über die ABM einen Mittelstand zu schaffen«. Aber den anvisierten Trägerwechsel — von einem Verein zu einer gemeinnützigen GmbH — machte das dafür zuständige Arbeitsamt Lichtenberg nicht mit. Ebenso erging es ihm, als er statt zweier Sekretärinnen, die im alten ABM-Plan noch vorgesehen waren, nun zwei Monteure verlangte. Wiederum stieß er beim Arbeitsamt auf Granit und mangelnde Flexibilität. So kämpfte er auch monatelang darum, mehr Rechner für seine Mitarbeiter zu bekommen. Immerhin gewährte das Arbeitsamt vor kurzem 15 Rechner, einer weniger, als in den Planungen der Initiative vorgesehen war. Ursprünglich hatte Lichtenberg vorgesehen, für jeweils vier Beschäftigte nur einen Computer bereitzustellen. »Für unsere Arbeit ein Unding«, erregt sich Peter. Es sind solche Kleinigkeiten, die Zeit und Kraft rauben und die Peter im Falle des gescheiterten Trägerwechels zur Erkenntnis geführt haben, auf »alles zu verzichten, was nicht hundert Prozent lebenswichtig ist«.

Lebenswichtig ist jedoch ein langfristiger Mietvertrag. Der jetzige gilt nur bis Ende dieses Jahres und wurde auch nur gewährt, nachdem eine Kaution in Höhe von 30.000 Mark bei der Treuhand hinterlegt wurde. Die zeitliche Befristung ist ein Manko, das sich auf zukünftige Kreditaufnahmen auswirkt, wie Peter erklärt: »Ich komme bei keiner Bank durch, wenn ich sagen muß: Ende Dezember ist Ultimo.« Erschwerend kommt hinzu, daß der frühere Eigentümer des Geländes, der 1987 enteignet wurde, mittlerweile Rückübertragungsansprüche gestellt hat. Ob die geplante Verkaufsstelle zur Straßenseite hin letzlich gebaut werden kann, ist somit offen.

Peter läßt keine Gelegenheit ungenutzt, um auf die Sorgen und Nöte seiner BQG hinzuweisen. Erst kürzlich konnte er, bei einer der regelmäßigen Versammlungen Ostberliner Betriebsräte im Kurt-Schuhmacher- Haus der SPD, seine Sorgen verschiedenen Treuhand-Mitarbeitern vortragen, darunter auch Vorstandsmitglied Wolf Klinz. Dem erklärte er in seiner gradlinigen Art, daß der Vertrag eine »Zumutung« sei: »Wir wollen nur arbeiten, aber durch solche Verträge werden uns bewußt die Arbeitsgrundlagen entzogen, und dann wird später gesagt: »Kieken Sie mal, die blöden Ossis.« Die Antwort war ausweichend — für Peters Ohren seit langem nichts Ungewöhnliches mehr. Severin Weiland