Von Bismarck über Kurt Fischer zu Niemöller

■ Zum zweiten Mal in diesem Jahrhundert wird der Kurt-Fischer-Platz in Niederschönhausen umbenannt/ Villen und Einfamilienhäuser in der Nähe der ehemaligen DDR-Machthaber/ In der »Sorgenpause« prallen Ost und West aufeinander

Pankow/Niederschönhausen. Was man dem Bezirk Pankow insgesamt nachsagte, galt für seinen Ortsteil Niederschönhausen in ganz besonderem Maße: die Nähe zu den DDR-Machthabern. Statt Mietskasernen gibt es hier (in der Mehrzahl inzwischen halbverfallene) Villen und Einfamilienhäuser zu bewundern. Der Kurt-Fischer-Platz liegt im Zentrum des einstigen Dorfes Niederschönhausen; nicht weit entfernt vom ehemaligen Regierungsviertel Majakowskiring und dem Schloß Niederschönhausen, wo von 1949 bis 1960 der erste und einzige DDR-Präsident Wilhelm Pieck residierte. Auf Linie geschorene Hecken, einige Bäume, im Halbkreis angeordnete Holzbänke: Trotz Begrünung wirkt dieser Platz wenig einladend. Alle zehn Minuten rattert eine Tram quer über den Platz; Autos und Busse werden im Kreisverkehr um die Anlage herum geführt. Nur einige wenige alte Mehrfamilienhäuser mit Geschäften und Läden im Erdgeschoß umfassen den Platz.

Christian Richter wohnt seit 1936 hier. Von seiner mit großen Fenstern versehenen Töpferwerkstatt aus kann er einen Teil des Platzes überblicken. Der hieß damals noch Bismarckplatz. Das größte Haus, das sogenannte Bismarck-Haus, schmückte eine zwei Meter hohe Gußbetonplastik des Eisernen Kanzlers. »Die wurde unmittelbar nach dem Krieg vom Sockel geholt«, erzählt er. 1951 wurden Bismarckplatz und die angrenzende Bismarckstraße nach dem Kommunisten Kurt Fischer (1900-1950) umbenannt.

Kurt Fischer war dabei, als die KPD im März 1921 im sächsischen Industrierevier die Revolution erprobte, 1924 emigrierte er in die Sowjetunion. Nach seiner Rückkehr 1945 wurde er Bürgermeister Dresdens, 1949 Chef der Deutschen Volkspolizei.

Mit dem, was bis vor einigen Jahren noch als Bilderbuch-Karriere galt, will sich heute keiner mehr identifizieren. Also beschloß die BVV Pankow eine erneute Umbenennung: Am 1. Juni 1992 wird aus dem Kurt-Fischer- der Pastor-Niemöller-Platz, die gleichnamige Straße wird nach Hermann Hesse benannt. Die Ehrung Martin Niemöllers (1892-1984) fand in allen Parteien Zustimmung. Der evangelische Theologe war ab 1933 Pfarrer in Dahlem und eine der herausragenden Gestalten des kirchlichen Widerstandes gegen das NS-Regime. Als »persönlicher Gefangener« Hitlers verbrachte er sieben Jahre in verschiedenen Konzentrationslagern. Auch nach 1945 war er alles andere als angepaßt. Er trat gegen Adenauers Politik der Westintegration und Wiederbewaffnung ein, wurde zum überzeugten Pazifisten und Atomkraft-Gegner. Für Christian Richter ist diese Umbenennung eine späte Einlösung des Lenin-Wortes »Nicht die Jasager erbauen den Sozialismus«. Sein Haus ist ein Ort, der in der jüngsten deutschen Geschichte eine Rolle spielte: Hier gründete sich im Oktober 1989 der Rat Pankow der Sozialdemokratischen Partei, es war Sitz eines der ersten SPD-Büros in Ost-Berlin.

Seit jeher bedienten sich politische Machthaber des Instruments der symbolischen Namensgebung: Die Macht über die Namen sollte die Macht über die Dinge und Menschen demonstrieren. 1951 war die Umbenennung des Platzes ein administrativer Akt, die Bevölkerung wurde nicht nach ihrer Meinung gefragt. Heute stehen die meisten Anwohner der Umbenennung völlig gleichgültig gegenüber. Zu einer Diskussionsveranstaltung zur Namensgebung »ihrer Straße« und »ihres Platzes«, zu der alle Anwohner schriftlich eingeladen wurden, kamen nur drei. Viele wissen bis heute noch nichts von der Umbenennung, der Name Niemöller ist für sie ein unbeschriebenes Blatt. »So eine Umbenennung kostet doch viel Geld. Das könnte man wirklich für sinnvollere Dinge verwenden. Und der ganze Aufwand, wenn man allen die neue Adresse mitteilen muß...«, beschwert sich eine Anwohnerin. Manch einer hätte auch gerne seinen alten Bismarck wieder. Doch dieser Rückbenennung schob das Berliner Straßengesetz von 1985 einen Riegel vor. Dort ist nämlich festgelegt, daß »wegen des öffentlichen Interesses« jeder Straßenname in ganz Berlin nur einmal vorkommen sollte. Wiederholungen sollen im Laufe der Zeit abgebaut werden. Und in Berlin gibt es allein fünf Bismarckstraßen und zwei Bismarckplätze...

Bis Anfang der 80er Jahre stand mitten auf dem Kurt-Fischer-Platz noch ein »Kaffee Achteck«, eines jener alten gußeisernen umzäunten Pissoirs. Doch sein Abriß machte aus dem Platz noch lange kein Vorzeigeobjekt. In der einzigen Kneipe am Platz, mit der typischen, gediegenen Inneneinrichtung in Braun und Ocker, hat sich auf den ersten Blick wenig verändert. Der Name »Sorgenpause« ist noch der alte aus DDR- Zeiten, und er ist heute vielleicht noch treffender als damals. Denn jetzt, wo hier sehr viele arbeitslos sind, ist die Kneipe auch tagsüber immer gut besucht. An diesem Freitag mittag läßt sich hier beobachten, wie nahe sich Ossis und Wessis im Zuge der Vereinigung inzwischen gekommen sind: Im vorderen Teil der Kneipe, am Tresen und an den Stammtischen schlägt man die Zeit tot bei Bier und Korn. Im hinteren Bereich stehen kleinere Tische mit Tischdecken. An ihnen sitzen schweigend einige Herren mit Anzug und Krawatte, unschwer als Wessis zu erkennen, und dinieren. Haxe mit Sauerkraut und Kloß für 7,90 Mark.

Einiges hat sich seit dem Mauerfall am Kurt-Fischer-Platz verändert: Wo einst eine Reinigung war, ist eine Bankfiliale eingezogen, ein Bildhauer-Atelier mußte einer Gebrauchtwarenhandlung weichen. Und wo jetzt noch die Keramikwerkstatt Christian Richters ist, steht in einigen Jahren wahrscheinlich ein Wohn- und Geschäftshaus. »Ich verdiene derzeit nur mehr halb soviel wie vor der Wende«, klagt er. Darum denkt auch er — nach 56 Jahren — ans Verkaufen: »Gegen die SED konnte man noch kämpfen, aber dem neuen Machthaber, der D-Mark, ist hier niemand mehr gewachsen.« Rainer Wieland