KOMMENTAR
: Einheitslohn

■ Zum Streik bei der 'Berliner Zeitung‘

In einer freien Marktwirtschaft ist es prinzipiell eine absurde Angelegenheit, sich darüber aufzuregen, daß es keine gleichen Löhne, keine Einheitslöhne gibt (selbst bei der taz gibt es seit kurzem eine Treppe im Portemonnaie). Weil sich Leistung »objektiv« schlecht messen läßt und Verzicht nicht ins Wettbewerbssystem paßt, zahlt man eben generell hierarchisch und redet viel und gern von »Qualifikation« und der »Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen«. Die Gleichheit und ihre diversen Ableitungen stehen in der Verfassung — den Rest regeln Tarifverträge, die die Ungerechtigkeit in Form bringen.

Noch absurder ist es, sich darüber aufzuregen, daß sogenannte ArbeitnehmerInnen in angeschlossenen Gebieten erst nach einer gewissen Inkubations- oder Quarantänezeit gleich bezahlt werden. Dabeisein ist eben alles. Je länger man absitzt, desto besser wird man in der Tendenz bezahlt: das »Senioritätsprinzip«.

Aufregung dürfte also eigentlich nur dann aufkommen, wenn die Phase, in der allzu »ungleich« entlohnt wird, allzu dreist in die Länge gezogen wird. Das haben die Verleger mit ihrer Marschroute »1996« getan, und auch die Gewerkschaft strapaziert mit ihrer Forderung »1994« vermutlich die Geduld. Jetzt streiken also die JournalistInnen der 'Berliner Zeitung‘, und die »Westkollegen« sind extrasolidarisch. Wäre ja auch noch schöner, wenn sie nicht streikten. Schließlich ist ihre Aufgabe ja auch das Berichten über soziale Mißstände, Arbeitskämpfe, die Ungerechtigkeit der Welt, das Zusammenwuchern deutscher Länder und ihrer EinwohnerInnen. Zudem beginnt oder endet die Zone der schlechteren Bezahlung bei ihnen direkt an den Schreibtischkanten. Während die OstlerInnen sechzig Prozent der Westtarife erhalten, kommen die WestlerInnen mit Ostgebietszuschlägen locker auf hundertdreißig Prozent. Es ist ein Streik, der beispielgebend sein könnte. Ein Streik um Einheitslohn, der aber kein wahrer Einheitslohn ist. Hans-Hermann Kotte