Streik bei der 'Berliner Zeitung‘

■ Die Beschäftigten fordern bis 1994 eine Angleichung ihrer Löhne auf Westniveau/ Notzeitung wird von den Chefredakteuren produziert

Berlin. Seit gestern morgen um 6Uhr streiken etwa dreihundert Beschäftigte des »Berliner Zeitung Verlags«. Vor dem Hochhaus am Alex stehen die Streikposten. Betroffen von dem — vorerst auf 24 Stunden befristeten — Arbeitskampf sind die beiden Zeitungen 'Kurier‘ und 'Berliner Zeitung‘. Beide Blätter erscheinen seit vergangenem Freitag ohnehin nur in Notausgaben, weil auch die Beschäftigten des Druckhauses Friedrichshain die Arbeit niedergelegt haben. Genau wie die Setzer fordern auch die Redakteure und Angestellten des dem Gruner+Jahr-Konzern gehörenden Verlagshauses gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Bis zum 1. Mai 94 will die IG-Medien eine stufenweise Erhöhung der Ostlöhne auf Westniveau erreicht haben. Rückwirkend ab 1. Oktober 91 sollen zudem die Löhne und Gehälter auf siebzig Prozent der Westtarife angehoben werden. Gruner+Jahr hingegen ist aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten und will in einem Haustarifvertrag eine Angleichung erst zum 1. Januar 96.

Während der Streik die Arbeitsabläufe beim 'Kurier‘ nicht durcheinander brachte — dort sind fast nur gutbezahlte Westjournalisten am Schreiben — herrschte Hektik bei der 'Berliner Zeitung‘. Von den etwa 150 Redakteuren fehlten fast alle, auch die etwa 30 Westjournalisten. Die Chefredakteure und einige leitende Angestellte waren gestern nachmittag fieberhaft damit beschäftigt eine 16seitige Notausgabe herzustellen. Georgia Tornow, Feuilletonchefin aus dem Westen, schien zuversichtlich, die streikenden Redakteure hätten vorgearbeitet. Hans Eggert, Chefredakteur aus dem Osten, hingegen hoffte auf einen ständigen Informationsfluß durch Nachrichtenagenturen und sprach »von den zwei Seelen, die in seiner Brust wohnen«. Denn obwohl als einziger der Redakteure aus dem Osten im Besitz eines Arbeitsvertrages, bekommt auch er weniger Gehalt als seine Westkollegen. Dennoch Kritik am Streik: Die Redakteure und Angestellten hätten abwarten sollen, was die seit gestern nachmittag tagende Tarifkommission aushandelt. Bis Redaktionsschluß näherten sich die alternativen Vorstellungen jedoch nicht aneinander an, die Runde vertagte sich auf den Abend.

Die Fronten zwischen der IG-Medien und dem Verlagshaus scheinen festgefahren zu sein. In einem offenen, gestern im Hause ausgehängten, Brief wird der Gewerkschaft vorgeworfen, mit der Streikaktion »gezielt gegen die Zeitungen aus dem Ostteil Berlins zu kämpfen« und ein »Bündnis mit Springer« eingegangen zu sein. Mit dieser Behauptung spielt die Geschäftsleitung darauf an, daß Springer in der Verhandlungskommission der Druck-Arbeitgeber vertreten ist, während Gruner+Jahr, vergangenen September aus dem Arbeitergeberverband ausgetreten, eben jetzt nicht auf eine Solidarität der Konkurrenz bauen kann. Deshalb sei es Springer möglich, der streikgeschwächten 'Berliner Zeitung‘ durch eine erhöhte Auflage der 'Morgenpost‘ zusätzlich eins auszuwischen. »Absurd«, sagt der Betriebsratsvorsitzende der Springer- Zeitung, Friedrich Christopher. »Bei so was würden unsere Kollegen nicht mitspielen.« aku