Erstmals Kinderschutzteam gegen sexuelle Gewalt

■ In Berlin wird künftig sexuell mißbrauchten Mädchen der Ämterdschungel erspart/ Bundesweites Pilotprojekt

Berlin (taz) — Sexuell mißbrauchten und mißhandelten Kindern soll in Zukunft besser geholfen werden: Erstmals wird ab Juni ein Kinderschutzteam im Berliner Bezirk Kreuzberg fachübergreifend zusammenarbeiten, um Kindern, die Erfahrungen mit der sexuellen Gewalt Erwachsener machen mußten, effektiver zu helfen. Bedarf für das Kinderschutzteam, das von der Berliner „Fachrunde gegen sexuellen Mißbrauch von Kindern“ initiiert wurde, gibt es mehr als genug: Allein in Kreuzberg werden jährlich etwa zweitausend Kinder, vor allem Mädchen, sexuell mißbraucht.

Der Deutsche Kinderschutzbund begrüßt die Kreuzberger Initiative: „An Hilfe für sexuell mißbrauchte Kinder fehlt es in Deutschland an allen Ecken“, so Pressesprecherin Gabriele Wichert-Dreyer. Das Kinderschutzteam muß zwar noch vom Bezirksamt und der Bezirksverordnetenversammlung genehmigt werden, der Kreuzberger Jugendstadtrat Helmut Borchardt geht aber davon aus, daß es keine Widerstände geben wird, da die derzeitige Versorgung von Kindern, die mit sexueller Gewalt konfrontiert werden, sehr zu wünschen übrigläßt. Im Kinderschutzteam werden sich je eine Mitarbeiterin aus den Abteilungen Jugend, Bildung und Gesundheit um konkrete Fälle sexueller Gewalt gegen Mädchen kümmern.

„Durch diese Kooperation werden Verwaltungswege vermieden“, erklärte Helmut Borchardt, „so daß die Kinder nicht vor verschiedenen Ämtern aussagen müssen.“ Zusätzlich soll im Büro des Teams ein Kinderschutztelefon bereitstehen, „damit sich Kinder und Jugendliche anonym an die Mitarbeiterinnen des Teams wenden können“. Zweimal monatlich wird zur Unterstützung des Kinderschutzteams eine Kinderschutzkonferenz tagen, an der auch PsychologInnen, ÄrztInnen und ErzieherInnen teilnehmen.

Ellen Becker ist eine der wenigen Fachkräfte in Berlin-Kreuzberg, die speziell zur Aufdeckung sexuellen Mißbrauchs ausgebildet ist. Sie wird eine der drei Teamarbeiterinnen sein. Die Sozialarbeiterin ist „noch ein bißchen zittrig“, wie das Projekt anlaufen wird. Doch auch sie hält die derzeitige Situation für Mädchen, die sexueller Gewalt ausgeliefert waren, für eine Tortur: „Die Kinder müssen von einer Stelle zur anderen rennen, ohne daß diese voneinander wissen.“ Vom Kinderschutzteam verspricht sich Ellen Becker eine „schnellere, unbürokratischere und kompetentere Hilfe“. Dadurch werde auch die Beweiskraft der Kinder vor Gericht steigen. „Ich wünsche mir natürlich, als Multiplikatorin arbeiten zu können“, so die Sozialarbeiterin: „Auch LehrerInnen und ErzieherInnen können sich an unser Team wenden und weitergebildet werden. Gerade LehrerInnen sind beim Thema sexuelle Gewalt häufig überfordert und brauchen konkrete Hilfestellungen.“

Jugendstadtrat Borchardt hofft, daß das Kreuzberger Beispiel Schule machen wird. Er schätzt die Bereitschaft von seiten der Landesregierung allerdings eher nüchtern ein: „Der Berliner Senat befaßt sich nicht mit dem Thema. Vor allem an finanzieller Unterstützung fehlt es den Bezirken. Dabei tasten wir uns auf dem Gebiet der sexuellen Gewalt gegen Kinder erst langsam vor.“ Das Kinderschutzteam Berlins ist nur ein erster Schritt. Corinna Emundts