VOR 25 JAHREN STARB DER GENIALE SCHAUSPIELER UND „FÜRST“ TOTÒ

Der letzte der Komnenen

Wenn früher ein Film mit ihm gezeigt wurde, herrschte bei uns „Totòmanie totale“. Pünktlich saßen alle geschlossen vor der Glotze, um ihn zu sehen, den einzigen, der es mit Chaplin und Fernandel aufnehmen konnte. Wir lachten, schrien, brüllten vor Vergnügen, schluchzten vor Mitleid oder weinten vor Rührung. Wir bewunderten sein Spiel. Und wir liebten ihn, weil er so süß aussah.

Totò war das uneheliche Kind eines Adligen und einer Bürgerlichen. Sein Vater, der die Beziehung zu ihr aufrechterhielt, wollte seinen Sohn dennoch nicht anerkennen. Darunter litt dieser offenbar so sehr, daß er im Alter von 24 Jahren seinen Vater zwang, die Mutter endlich zu ehelichen oder ihn, Totò, nie wiederzusehen. Die Eltern vermählten sich, so rasch sie konnten.

Er war exzentrisch, eitel bis zur Lächerlichkeit, krankhaft abergläubisch und mindestens ebenso eifersüchtig. Der Schürzenjäger und „Frauenheld“ entwickelte eine pathologische Angst, in der Öffentlichkeit als „cornuto“, als Gehörnter, zu gelten. Totò heiratete ein 15jähriges Mädchen, das ihn wie eine Gefangene überallhin begleiten mußte. Sie sollte stets in seinem Blickfeld sein. In dem Wahn, betrogen zu werden, ließ sich der Betrüger gar nach 18 Ehejahren scheiden. Grund: Wenn sie trotzdem bei ihm bliebe, dann — und nur dann — wäre klar, daß es sich um wahre Liebe handeln müsse.

Der Mann, der exakt so aussah, wie sich der Zeichner Morris die vier Daltons vorgestellt haben muß, spielte mit Vorliebe den Gauner, den gerissenen Kleinstkriminellen, dem man vor lauter Mitleid stets um den Hals fallen wollte; den Pechvogel und Betrüger, dem das Leben unbarmherzig mitspielt, obwohl er doch nur aus purer Not kriminell wurde. Totò, in Neapel geboren und aufgewachsen, war der personifizierte humane Ausdruck dieser Stadt. Noch heute sagen Neapolitaner, Totò dürfe eigentlich nur der sehen, der ihn auch verstehen könne — auf neapolitanisch!

Das ist natürlich falsch. Sogar in deutscher Synchronisation gehört jeder Film mit Totò zum besten und größten, was das Kino je hervorgebracht hat. Ob er in Monicellis Diebe haben's schwer (1958) den Altmeister der Schränker verkörpert, in Räuber und Gendarm (1951) dem Polizisten entwischt oder in Gesetz ist Gesetz (1957 mit Fernandel) den ihn verhaftenden Polizisten in so schwere Gewissensnöte treibt, daß dieser ihm schließlich verspricht, sich um seine Familie zu kümmern, Totò ist immer — mit Abstand — der Beste. In Verkennung seines Talents galt er hierzulande als „Spaßmacher“ oder „Komiker mit eigentümlicher Verrenkungsmimik“, als „Harlekin mit dem Drosselbartkinn“. Er, der die Gabe besaß, mit dem Zuschauer anzustellen, was immer er wollte! Eine solche Beurteilung ist natürlich kein Wunder in einem Land, in dem die Schauspieler oft genug die mimische Kraft einer Wasserleiche ausstrahlen — und damit zu Ruhm und Ehren gelangen.

Totò spielte unter anderem mit Neorealisten wie de Sica, Rossellini, Monicelli und drehte auch mit Pasolini. Viele ihrer Werke sind wegen ihm zu cineastischen Köstlichkeiten geraten. Als Fellini ihn für den Weißen Scheich engagieren wollte, lehnte ihn die Produktionsgesellschaft als „zu teuer“ ab. So konnte er nur einmal mit dem von ihm Verehrten drehen — für Rossellinis Meisterwerk Dov'è la libertà?.

In einer Szene dieses Films singt Totò, ein wegen Mordes aus Eifersucht einsitzender Knacki, einem Mithäftling ein Liebeslied vor, damit dieser lernt, wie man es macht. Eine der schönsten Szenen der Filmgeschichte! Für die letzten Aufnahmen des Streifens war Fellini eingesprungen. Dessen Biograph, Tullio Kezich, schildert ihr Zusammentreffen: „Die Begegnung mit Totò bewegte Fellini so sehr, daß er ihn spontan mit ,Fürst‘ anredete, wie es der Drehstab zu tun pflegte. Totò antwortete nachsichtig: ,Ihr könnt mich ruhig Antonio nennen.‘“ Das war ungewöhnlich. Schließlich hatte Totò jahrelang um seine Anerkennung als Adliger prozessiert. Er nannte sich schlicht Fürst Antonio Gagliardi De Curtis Griffo Focas Angelo Flavio Komnenischer Herzog von Byzanz. Jeder, der ihn einmal spielen sah, wird sich nicht wundern zu erfahren, daß Totò den Prozeß gewann und sich fortan offiziell als der letzte männliche Nachkomme der Komnenen-Dynastie (1081-1185) des byzantinischen Kaiserhauses bezeichnen durfte. Ein Mime dieser Größe hätte sicher auch dem Papst noch die hl. Stellvertretung streitig machen können. Böse Quellen behaupten, der Verlust des väterlichen Reiches habe ihn stets geärgert. In den letzten Jahren seines Lebens soll er angeblich gar Anspruch auf das römische Pantheon erhoben haben, das ein Ahne Papst Bonifaz IV. geschenkt haben soll.

Am 15.April 1967 verstarb 67jährig einer der ganz Großen der kleinen Leute, der die Tragikomödie Mensch mit jedem Zoll verkörperte. Oder, wie Jean-Luc Godard in einem Brief an Pier Paolo Pasolini über seinen „Edipo Re“ schrieb: „...und nun fühle ich, wie er mich langsam überholt, geführt vom heiteren Geist Ninetos, der sich zum Kostümball der Geschichte begibt, um dort Marx, Freud und Totò zu treffen.“

Alles Gold von Neapel für Totò — und eine seiner endlosen Pernacchias für die Langweiler! Philippe André