Meister in Vogel-Strauß-Politik

Frankreich verdrängt den Erfolg der Front National  ■ Aus Paris Bettina Kaps

War alles nur ein Spuk? Wochenlang hatte die Front National als Schreckgespenst die Medien beherrscht, Parteichef Le Pen und sein Propagandameister Mégret waren vertraute Fernsehgesichter zur Abendessenszeit. Und nun plötzlich diese Stille, als hätten die März-Wahlen der rechtsextremen Partei den Stachel genommen.

Die Analysen hinterließen tatsächlich den Eindruck, die FN habe durch die Regional- und Kantonalwahlen an Bedeutung verloren: Schließlich erzielte sie in den Regionen „gerade mal“ 14Prozent der Stimmen. Weil ihre Politiker auf „15 bis 20Prozent“ gewettet und die Umfragen ebenfalls einen spektakulären Durchbruch vorausgesagt hatten, ging nach dem 22.März ein erleichtertes Aufatmen durch Frankreich. Parteichef Le Pen kam in Nizza sogar „nur“ auf 27,3Prozent — gewünscht hatte er sich 40Prozent. Also titelte 'Le Monde‘: „Le Pen verliert seine Wette. Das Ergebnis der FN entspricht nicht ihren Hoffnungen.“ Die Maßstäbe der FN haben sich in Frankreich durchgesetzt. Nirgends in Europa — von Österreich abgesehen — hat eine Partei, die Ausländerfeindlichkeit zum Programm macht, eine solche Stärke erreicht. 81Prozent der Franzosen halten die FN für rassistisch — dennoch hat sich das Land an ihre Existenz gewöhnt. Die Regionen und Départements haben nun ihrerseits sechs Jahre lang Zeit, sich an die 239 gewählten FN-Berater zu gewöhnen; seit den Regionalwahlen ist die FN in 86 der 96 Départements (entspricht in etwa unseren Regierungsbezirken) vertreten.

Der PS-Abgeordnete Cambadélis ist über diesen Verdrängungsprozeß entsetzt: „Auf einmal hat ein kollektiver Gedächtnisschwund eingesetzt, die politische Klasse wendet sich von dem Problem ab. Das ist ein dramatischer Fehler“, warnt der Politiker. Für ihn beweist das Wahlergebnis vor allem eins: daß die FN unabhängig von ihrem Zugpferd Le Pen im ganzen Land Wurzeln schlagen konnte. „Wir dürfen der Front National nicht einen Fingerbreit des Terrains überlassen, der Druck darf nicht nachlassen, überall dort, wo ihre Anhänger auftauchen, müssen wir schon vorher sein“, lautet daher auch nach der Wahl seine Strategie, die er als „demokratisches Geplänkel“ (harcelement démocratique) bezeichnet.

Cambadélis ist Autor eines „Manifests gegen die Front National“, für das er 50.000 Unterschriften gesammelt hat.

Unter demselben Namen koordiniert er die Aktivitäten von 130 politisch und sozial äußerst verschiedenen Gruppen, die vor Ort gegen Le Pen und gegen Ausländerfeindlichkeit kämpfen — wofür Le Pen ihn als Terroristen und „französische Verkörperung der Baader- Meinhof-Bande“ beschimpfte. Der Abgeordnete hatte im Dezember 1991 völlig unterschiedliche Vereinigungen erstmals zu einer „Generalversammlung gegen den National- Populismus“ in Paris versammelt: Eine Theatergruppe aus Saint-Dénis, die mit ihren Stücken von der Gefahr der FN überzeugen will; ein Verein, der wöchentlich vor einer Pariser Buchhandlung mit Literatur über die „Auschwitz-Lüge“ demonstriert; ein Kreis, der in Marseille nach dem Muster von Tupperware-Partys Bekannte und Nachbarn einlädt, um über die FN zu diskutieren. Die Vertreter dieser Gruppen treffen sich wöchentlich, um über ihre Aktivitäten zu sprechen und Veranstaltungen zu planen. Ein Grund für die wachsende Ausländerfeindlichkeit ist die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit, die in Frankreich bereits drei Millionen Menschen trifft. Wer Angst hat, aus dem gesellschaftlichen System herauszufallen, ist anfälliger für Milchmädchenrechnungen nach dem Motto „Wenn wir kommen, ziehen die Immigranten ab.“

Mit der Forderung nach „nationaler Bevorzugung“ („Frankreich den Franzosen“) sammelt Le Pen Stimmen. Politiker wie Cambadélis wollen diese Politik mit der „sozialen Bevorzugung“ bekämpfen, „denn damit greifen wir ein Grundübel unserer Gesellschaft an der Wurzel an: die Ungerechtigkeit“. Es befriedigt ihn, daß der neue Regierungschef die Sozialpolitik in den Mittelpunkt seiner Regierungserklärung stellte — auch wenn es dem mehr darum geht, die Regierung zu retten als die FN zu bekämpfen. Berégovoy versprach, er werde sich auf die Verringerung der Arbeitslosigkeit, der Unsicherheit und der Korruption konzentrieren. Um glaubhaft zu sein, hat er eine konkrete Maßnahme angekündigt: Bis Ende Oktober soll jedem der 900.000 Langzeitarbeitslosen (das heißt Menschen, die seit über einem Jahr als arbeitlos gemeldet sind) eine individuelle Lösung vorgeschlagen werden.

Die zunächst wirksamste Bremse gegen die Front National zog der Premierminister jedoch mit seinem Vorschlag zur Wahlrechtsreform: Nach monatelangem Hin und Her steht nun fest, daß das Parlament im nächsten Frühjahr erneut nach Mehrheitswahlrecht gewählt wird, was Le Pen mit einem „Nieder mit der Viererbande“ quittierte. Denn das Mehrheitswahlrecht begünstigt die etablierten Politiker der vier alten Parteien (die bürgerlichen RPR und UDF, die Sozialisten und bisher auch die Kommunisten — ausgeschlossen würden damit allerdings auch die Umweltparteien). Beim Verhältniswahlrecht könnte die FN mit 60 bis 70 Parlamentariern rechnen. Das würde zwar auch noch nicht bedeuten, daß sie damit regierungs- oder auch nur mitregierungsfähig würde: sie ist bisher vor allem eine Protestpartei. Allerdings warnen Experten, ein „starker“ Einzug ins Parlament könnte die FN endgültig Fuß fassen lassen, ihr das Image einer Partei wie alle anderen geben. Frankreich wird also den Erfolg der Rechtsradikalen noch eine Weile kaschieren können — das ist schließlich einfacher, als sie zu bekämpfen.